Witten. Beamte, die Schulden für die Stadt Witten eintreiben, brauchen Nerven. Der Umgangston sei rauer als früher, sagt einer, der anonym bleiben will.

Attacken von Schuldnern auf Gerichtsvollzieher, üble Beschimpfungen – das NRW-Justizministerium hat angekündigt, dass Gerichtsvollzieher im Land bald mit mobilen Alarmgeräten ausgerüstet werden sollen. Ein Test, den auch die Chefs der Abteilung „Zahlungsabwicklung“ der Stadt Witten begrüßen.

Die frühere Stadtkasse beschäftigt vier sogenannte „Vollziehungsbeamte“, die für die Kommune und andere öffentlich-rechtliche Stellen Geldforderungen eintreiben. Zwar sei es in Witten noch nicht zu Gewalttätigkeiten gegen die Beamten gekommen. Aber der Umgangston werde rauer, heißt es.

Jürgen L. ist einer der vier Vollziehungsbeamten und als solcher seit 1992 für die Stadt Witten tätig. Der Mann wird aktiv, wenn Bürger Bußgelder oder Kitabeiträge nicht bezahlen, Gewerbe-, Grund- oder Hundesteuern nicht überweisen, fällige Abfall- oder Rundfunkgebühren ignorieren. Rund 150 Fälle in der Woche, etwa 600 in einem Arbeitsmonat, landen auf dem Schreibtisch des Beamten.

Nur geschätzt jeder zweite Schuldner zahlt nach Aufforderung

Jürgen L. klingelt an den Türen von Schuldnern, versucht persönlich zweimal sein Glück, wenn er beim ersten Hausbesuch niemanden antrifft. Bei geschätzt nur jedem zweiten Schuldner bekomme man auf diese Weise das ausstehende Geld, sagt Stephan Krause, einer der zwei Chefs der_Abteilung „Zahlungsabwicklung“.

Bei den anderen 50 Prozent könne man unter anderem versuchen, über eine Vermögensauskunft – die frühere Eidesstattliche Versicherung –, eine Konto- oder zum Beispiel eine Lohnpfändung ans Geld zu kommen. Dies gelinge bei Pfändungen erfahrungsgemäß nur bei jedem fünften Schuldner, so Krause. „Oft haben die Leute ja auch noch andere Schulden.“

„Ein Großteil der Menschen, zu denen wir gehen, hat einfach kein Geld“

Der Vollziehungsbeamte Jürgen L. sagt, dass die Zahlungsmoral in den letzten Jahren schlechter geworden sei. „Ein Großteil der Menschen, zu denen wir gehen, hat einfach kein Geld.“ Außerdem seien die Fallzahlen bei ihm über die Jahre gestiegen. „Ich denke, es sind heute ein Viertel Menschen mehr.“ Hinzu komme, dass die Hartz-IV-Empfänger unter den Schuldnern oft nicht wüssten, dass sie Befreiungen etwa für die Rundfunkgebühr oder den Kitabeitrag beantragen müssten. „Da sind viele Leute ganz erstaunt, wenn wir mit Forderungen kommen. Die sagen uns: Wieso, wir sind davon doch befreit.“

Laut Jürgen L. war der Umgangston früher respektvoller. „Die Gespräche waren sachlicher.“ Heute werde mancher frech und laut. Es komme auch schon einmal zur Androhung von körperlicher Gewalt. L.: „Richtige körperliche Übergriffe habe ich noch nicht erlebt, aber schon einmal Schubsereien und Rangeleien.“ Der Vollziehungsbeamte gibt zu: „Keine Frage, da nimmt man auch das eine oder andere mit nach Hause.“

>>> DIE SCHULDNER- UND INSOLVENZBERATUNG WITTEN

Bei der Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie Mark Ruhr haben im Vorjahr rund 360 Menschen Rat gesucht. Die größte Gruppe der Schuldner stellten mit fast 30 Prozent die 31- bis 40-Jährigen. Die Menschen hatten im Schnitt Schulden in Höhe von 18.000 Euro.

Die Schuldner- und Insolvenzberatung, Röhrchenstraße 10, erreicht man zwecks Terminabsprache unter 02302/914 84 47 bzw. -41(Mo. bis Mi.). Eine offene Sprechstunde gibt’s dienstags von 9 bis 12 Uhr. Die Beratung ist vertraulich und kostenfrei. Weitere Infos: diakonie-mark-ruhr.de/unterstuetzung-und-beratung/schuldner-und-insolvenzberatung/