Witten. Der Neubau in Buchholz könnte „Pleiger-Kita“ heißen. Dagegen läuft die Linke Sturm – und erinnert an die NS-Vergangenheit des Firmengründers.
Noch ist nicht einmal ganz sicher, wo die neue Kita für Buchholz genau hinkommt. Die Verhandlungen zwischen Stadt, Investor und Grundstückseigentümer um den bevorzugten Standort hinter Rewe ziehen sich. Doch schon gibt es Streit um einen möglichen Namen für den Kindergarten.
SPD und Grüne fordern in einem Antrag, dass die Stadt Bereitschaft für ein „ideelles Entgegenkommen, zum Beispiel bei der Namensgebung“ gegenüber dem Grundstückseigentümer, der Firma Pleiger, zeigen solle. Die Linke ist empört. Denn Firmengründer Paul Pleiger hat eine mehr als unrühmliche NS-Vergangenheit.
Benennung nach Pleiger ist für die Linke „unvorstellbar“
„Die besondere Hervorhebung der Firma Pleiger durch eine Namensnennung beim Kindergarten ist unvorstellbar für jeden Antifaschisten, jede Antifaschistin“, sagt Fraktionsvorsitzende Ulla Weiß. Es sei schlicht nicht angemessen, ausgerechnet einen Kriegsverbrecher zu ehren. Paul Pleiger, Jahrgang 1899, war in den Nürnberger Prozessen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden – wegen Raub, Plünderung und Sklavenarbeit.
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Der Industrielle war laut seinem Eintrag in der „Neuen Deutschen Biographie“, einem historischen Standardwerk, einer der zentralen Akteure der Wirtschaftspolitik im „Dritten Reich“. Er war unter anderem Reichsbeauftragter für Kohle. Zu seinem Verantwortungsbereich gehörten auch Enteignungen, die Beschäftigung von Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen sowie die Verlagerung maschineller Anlagen aus den besetzten Gebieten nach Deutschland. Auch in seiner eigenen Firma im Hammertal hat Pleiger Zwangsarbeiter beschäftigt. Bei Kriegsende waren es rund 400.
SPD will Verhandlungen um Grundstück vorantreiben
Die Stadt würde gerne auf dem Pleiger-Grundstück hinter dem Rewe-Supermarkt den Neubau der schon lange viel zu kleinen städtischen Kita Buchholz sehen. Auch einen Investor gäbe es schon, die Holzbaufirma Materio. Laut SPD soll die Stadt bereits elf mögliche Bauflächen geprüft und wieder verworfen haben. Das rund 2340 m² große Grundstück zwischen Rehnocken und Im Hammertal eigne sich einfach am besten. „Es ist der günstigste und der machbarste Standort“ , sagt Fraktionsvize Christoph Malz, auch Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses.
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Mit dem Antrag wolle man deshalb „Druck machen, damit es vorangeht“ , so Malz. Denn die Kita-Plätze werden in Wittens südlichstem Stadtteil dringend benötigt. Eigentlich hätte die Einrichtung schon in diesem Sommer an den Start gehen sollen, doch der Investor war zwischenzeitlich abgesprungen. Dabei soll es wohl hauptsächlich um die Kosten für die Beseitigung der Bergbauschäden gehen. Hier solle sich die Stadt in einem „angemessenen Umfang“ beteiligen, finden SPD und Grün. Und um die laufenden Vertragsverhandlungen zu beschleunigen, eben auch der Firma Pleiger „ideell“ entgegenkommen.
Linke: Pleiger hat Firmengeschichte nicht aufgearbeitet
Die Kita müsse und werde aber sicher nicht „Paul-Pleiger-Kita“ heißen, sagt Malz. Die Bevölkerung des Stadtteils solle sich darin wiederfinden. Auf Unverständnis stößt beim SPD-Ratsherrn die Kritik der Linken. Natürlich könne man eine Kita „nicht nach jemandem nennen, der durch die Nazi-Zeit belastet ist“, so Malz. „Dass man uns das überhaupt zutraut...“ Andererseits dürfe auch nicht jeder, der den Namen Pleiger trage, generell abgeurteilt und ausgeschlossen werden.
Kita läuft mit Ausnahmegenehmigung
Seit 2018 bangen Eltern um die Zukunft der Kindertagesstätte in Buchholz. Zahlreiche Betreuungsplätze sollten dort wegfallen, weil die Räume von der Größe her nicht den gesetzlichen Mindeststandards entsprechen.
Derzeit läuft die Kita mit einer Ausnahmegenehmigung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Die Gruppe der Vorschulkinder wurde in die Grundschule Buchholz ausgelagert. Die Genehmigung läuft noch bis 31. Juli 2024.
Was den Linken noch besonders aufstößt: Bis heute sei nicht bekannt, ob die Firma Pleiger jemals ihre Firmengeschichte in der Nazizeit kritisch aufgearbeitet habe. So sei etwa die Forderung einer Initiative, die sich Anfang der 2000er-Jahre für eine Entschädigung von Zwangsarbeitern eingesetzt hatte, negativ beschieden worden. Das bestätigt Historiker Ralph Klein, der sich intensiv mit der Geschichte der Zwangsarbeit in Witten befasst hat. Eine „Pleiger-Kita“ wäre für ihn „eine Katastrophe“.
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Die Firma selbst hat eine Anfrage nach einer Stellungnahme unbeantwortet gelassen. Die heutige Unternehmensgruppe bietet auf ihrer Internetseite einen Abriss seiner Geschichte – die Zeit unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wird dabei nicht mit einem Wort erwähnt.