Witten. Der Hacker-Angriff auf die Stadt beeinträchtigt auch die Arbeit der Bürgerberatung in Witten. Werden jetzt wieder Zettel und Stift herausgeholt?

Man stelle sich vor, wir würden wieder in einer Zeit leben, wo es noch keine Computer gab. Im Jahr 2021 ist das kaum noch vorstellbar. Nach dem schweren Hacker-Angriff in Witten erlebt die Stadtverwaltung eine Reise in die Vergangenheit. Auf einmal werden Quittungsblöcke und handgeschriebene Dienstpläne wieder Alltag.

Freitagmorgen um halb zehn in der Bürgerberatung des Wittener Rathauses. Wo sonst Trubel herrscht, ist vieles verwaist. In Raum fünf sitzt Amtsleiterin Daniela Borsch ganz alleine. „Es ist derzeit wirklich sehr ruhig“, sagt die 50-Jährige. Kein Wunder, denn viele Dienstleistungen fallen zur Zeit weg. Einfach mal einen Personalausweis oder den Reisepass für den anstehenden Urlaub beantragen? Fehlanzeige. Der Grund: Die Computer stehen weiterhin still, Daten können nicht abgerufen werden. Zudem können auch keine Fingerabdrücke für die Dokumente genommen werden. Auch das ist digitalisiert. An- und Ummeldungen sind ebenfalls nicht möglich.

Bürger in Witten müssen bar bezahlen

Bürgerinnen und Bürger, die ihren Perso oder Reisepass bereits vor dem Hacker-Angriff beantragt haben, können diesen aber abholen. So wie Bärbel Weigel, die am Freitag den Weg ins Rathaus gesucht hat. „Ich bin froh, dass ich meinen Reisepass heute bekommen habe“, sagt die 65-Jährige. Aber auch hier ist vieles anders. Statt mit der EC-Karte zu bezahlen, wie es wegen der Corona-Pandemie eigentlich gewünscht ist, muss Weigel die Gebühr bar hinterlassen. „Gut, dass ich Bargeld mitgenommen habe.“ Und siehe da: Es gibt tatsächlich noch Quittungsblöcke. Mitarbeiterin Claudia Kleist füllt das Ganze fein säuberlich aus und gibt der Bürgerin den blauen Zettel zurück. Es ist halt doch einiges anders in dieser Zeit.

Daniela Borsch, Leiterin der Bürgerberatung in Witten, ist in ihrem Büro derzeit oft alleine.
Daniela Borsch, Leiterin der Bürgerberatung in Witten, ist in ihrem Büro derzeit oft alleine. © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

„Wir haben sonst um die 150 bis 200 Termine am Tag“, sagt Amtsleiterin Borsch. Derzeit sei das viel weniger. „Gestern kamen zum Beispiel 15 Leute, um ihren Führerschein umzutauschen.“ Das geht noch. Dafür müsse man nur den alten „Lappen“ abgleichen, der Antrag könne dann schriftlich eingereicht werden.

Die Kunden, die in diesen Tagen zur Bürgerberatung kommen, seien aber allesamt zufrieden. „Viele sagen, dass es schön ist, dass man mal nicht so lange warten muss“, sagt Daniela Borsch. Momentan muss keiner eine Nummer ziehen. Das Team selbst nutzt die Zeit für Dinge, die sonst etwas untergehen. Da die Bürgerberatung im renovierten Rathaus noch umziehen muss, „packen wir jetzt unsere Kisten und bereiten alles etwas vor“.

Fischereischeine werden in Witten angefragt

Was derzeit auch hier und da angefragt wird, sind Fischereischeine. Die können sowohl verlängert als auch beantragt werden. „Das ist aber wirklich nur ein Bruchteil unserer Arbeit“, sagt die Amtsleiterin. Pro Jahr würden rund 300 dieser Scheine ausgestellt werden. Zum Vergleich: Bei den Personalausweisen sind es 10.000, Reisepässe werden rund 2500-mal ausgegeben. Trotz der derzeitigen „Ruhe“ sind alle Mitarbeitenden der Bürgerberatung im Einsatz. „Wir arbeiten aber in Schichten“, sagt Daniela Borsch. Und: „Es ist auch mal schön, nicht so einen Termindruck zu haben.“

Aber wie läuft eigentlich die interne Kommunikation, wenn alle Computer still stehen? „Wir schreiben in der Whatsapp-Gruppe miteinander.“ Die Amtsleiterin schreibt ihre sonst elektronischen Dienstpläne mit einem Edding auf ein DIN-A4-Blatt und schickt davon dann ein Foto in die Gruppe. „Irgendwie kriegen wir das schon alles hin.“

Normalität in Witten ist noch in weiter Ferne

Jedes Amt hat private Handynummer

Nach dem Hacker-Angriff ist jedes Amt der Stadt über eine private Handynummer eines Mitarbeiter zu erreichen. Zudem sitzt eine Mitarbeiterin im Rathaus Dortmund, da dort das gleiche System genutzt wird. „Sie kann somit zum Beispiel Sterbe- oder Geburtsurkunden ausstellen“, sagt Stadtsprecherin Lena Kücük.

Wie viele Beschäftigte der Stadtverwaltung derzeit regulär ihrer Arbeit nachgehen können, kann nicht gesagt werden. „Es ist so, dass viele Mitarbeitende im Dienst sind und ihre Arbeitskraft anbieten“, sagt Kücük. Auch hier müsse man berücksichtigen, dass Arbeiten, die normalerweise einfach elektronisch zu erledigen sind, nun mehr Hände und Köpfe bräuchten.

Wann wieder Normalität in Sicht ist, könne derzeit nicht gesagt werden, so Stadtsprecherin Lena Kücük. Zudem müsse man sehen, ob man wirklich alle Daten wiederherstellen kann. Es gebe auch Menschen, die ins Bürgerbüro kommen und bereits vor Wochen einen Termin ausgemacht haben. Kücük: „Da alle Daten weg sind, wissen wir natürlich auch nicht, wer wann Termine hat.“ Meistens reagierten die Bürger aber verständnisvoll, wenn sie wieder unverrichteter Dinge von dannen ziehen müssen.

Normal arbeiten können bei der Stadt im Moment nur diejenigen, die nicht auf den PC angewiesen sind. Wie jeden Tag fährt die Stadtreinigung am frühen Freitagmorgen über die Bahnhofstraße, leert die Mülleimer und säubert die Wege. Fast so, als wäre nichts passiert. Davon kann das Bürgerbüro nur träumen.