Witten. Dass ein Aufzug mal kaputt ist, geschenkt. Aber gleich ein halbes Jahr? Was das für einen Rollstuhlfahrer in Witten und andere Bewohner bedeutet.

Es sind genau 64 Stufen, rauf wie runter, zur Wohnung von Hans-Dieter Oltmanns im vierten Stock in der Winkelstraße 21. Kein Problem, wenn man jung und fit ist und so nebenbei was für seine Gesundheit tut. Der 68-Jährige aber sitzt seit 20 Jahren im Rollstuhl und ist auf den Aufzug angewiesen. Der ist aber seit Weihnachten kaputt. „Ich möchte endlich wieder mal raus, ganz spontan“, sagt der ehemalige Mess- und Regeltechniker angefressen.

Die Finger hat er sich schon wund telefoniert, damit sein Vermieter – der Wohnungsriese LEG – endlich in die Pötte kommt. Doch meistens wurde Oltmanns nur vertröstet: „Wir sind dran.“ Anfangs fehlten Ersatzteile, dann hieß es, der Aufzug müsse komplett erneuert werden. Doch es tat sich nichts. Am Freitag klebte immer noch der Aushang an der Lift-Tür: „Liebe Mieterinnen, bitte seien Sie gewiss, dass wir nichts unversucht lassen, um die Ausfallzeit für Sie so gering wie möglich zu halten.“

Aufzug in Witten funktioniert seit dem 15. Dezember nicht mehr

Vier Etagen ohne Aufzug, seit dem 15. Dezember. Nicht nur ältere Bewohner wie Oltmanns und seine Frau sind betroffen. In Nummer 17, wo es ebenfalls vier rollstuhlgerechte Wohnungen gibt (in jeder Etage eine), schleppt eine junge Mutter eine ihrer kleinen Töchter rauf und runter. Und ein junger Mann, der ebenfalls im Rollstuhl sitzt, wurde schon dabei beobachtet, wie er sich rückwärts fahrend allein die Treppen hinunterhangelt, die Hände immer am Treppengeländer...

Der schwere Elektrorollstuhl von Hans-Dieter Oltmanns steht seit Monaten unbenutzt vor der Haustür. Wenn der Taxidienst kommt, dem ihm die LEG seit dem Ausfall des Aufzugs bezahlt, wird er von seinem leichteren, nicht motorisierten Rolli in einen Tragestuhl verfrachtet. Darin schleppen zwei kräftige Kerle von Taxi Schöppinger den Frührentner – mit 1,94 und 80 Kilo nun auch nicht gerade ein Fliegengewicht – dann die Treppen hinab. Und später natürlich auch wieder rauf.

Rollstuhlfahrer im vierten Stock: „Mir fehlt die Freiheit, mal eben rauszugehen“

Mit diesem Aushang am Aufzug bedankt sich die LEG bei den Mietern in Witten für deren „Verständnis“ und „Geduld“.
Mit diesem Aushang am Aufzug bedankt sich die LEG bei den Mietern in Witten für deren „Verständnis“ und „Geduld“. © Augstein

Oltmanns ruft vorher an, dann kommt der Tragedienst vorbei. Davon macht er in aller Regel maximal zweimal täglich Gebrauch. Alles Spontane sei gar nicht möglich, „den Müll runterbringen oder die Post raufholen“. „Mir fehlt die Freiheit, mal eben rauszugehen“, sagt der Mann, der vor vielen Jahren einen Wirbelsäulenschaden erlitten hat.

Im Haus nebenan, der Nummer 17, treffen wir Margret Roschkowski, die zwar noch laufen kann, aber mit ihren 83 Jahren die 64 Stufen auch nicht mal so eben locker hoch- und runtersprintet. „Wenn ich oben ankomme, bin ich platt“, sagt die Seniorin, die für ihre Wege einen Rollator benutzt. Sie gehe trotzdem jeden Tag noch raus. „Sonst verlerne ich ja das Laufen.“ Zum Glück seien die Nachbarn so nett. „Wenn du was brauchst, sag Bescheid.“ Und ihre Tochter erledige die Einkäufe.

TÜV hat Aufzüge in zwei LEG-Häusern in Witten stillgelegt

Anders als Hans-Dieter Oltmanns, der von Anfang an bei der LEG Theater gemacht hat, nimmt die Wittenerin den Tragedienst nicht in Anspruch. „Jedes Mal 100 Euro, das geht überhaupt nicht.“ Zwar zahlt der Wohnungskonzern. Aber die Mieter müssen offenbar in Vorleistung gehen. Hätte sich die LEG früher gekümmert, sagt Frau Roschkowski, hätte man sich all das vielleicht ersparen können. Irgendwann hat der TÜV die Aufzüge in den beiden großen Wohnhäusern stillgelegt.

Der „Treppenwitz“ an dieser Geschichte, um im Bilde zu bleiben: Die Rentnerin und ihr vor fünf Jahren verstorbener Mann sind vor acht Jahren extra aus der Breite Straße in die schöne Wohnung im vierten Stock in der Winkelstraße gezogen. Ein Grund war – man ahnt es – der Aufzug.

Wohnungskonzern spendiert Mietern in Witten jetzt immer samstags Brötchen

Dafür spendiert die LEG jetzt jeden Samstag Brötchen und dreimal die Woche wurde eine Frau angeheuert, die den betroffenen Mietern etwa hilft, Einkäufe hoch- und den Müll rungerzutragen. Sie sitzt an diesem Freitagmorgen schon um acht vorm Haus. Vielleicht wird sie ja bald nicht mehr gebraucht. Die LEG hat tatsächlich zugesagt, die Aufzüge ab nächster Woche zu erneuern. Also doch noch ein Happyend? Hans Dieter Oltmanns: „Ich trau dem Braten noch nicht.“