Witten. Was haben wir auch kulturell für eine Durststrecke hinter uns. Witten saß zu Hause und streamte, kein Künstler durfte auftreten. Und jetzt?

Es ist einer dieser Tage, an denen sich das Leben endlich wieder leicht anfühlt. Das ganze Wochenende liegt noch vor uns, es ist warm, wir haben lange gefrühstückt, die Zeitung gelesen, das bisschen Einkaufen machen wir später. Wir schlendern rüber zu Haus Witten, durch die Grünanlage, da erklingen schon die ersten Töne. Jazzig, aber nicht so frei, dass man schon wieder weglaufen will. Das Wittener Jazz-Quartett hat an der Bruchsteinmauer seine Instrumente ausgepackt und gibt eines seiner Freiluftkonzerte, umsonst und draußen. Was alles nichts Besonderes wäre, wenn, ja wenn wir nicht alle eine so lange kulturelle Durststrecke hinter uns hätten.

Musiker Martin Theurer und sein junges Ensemble waren einer der wenigen Lichtblicke während der Pandemie. Als im vergangenen Jahr wieder vorübergehend ein wenig ging mehr ging, spielte die in der Corona-Krise gegründete Band erstmals auf der Wiese hinter Haus Witten. Damals schöpfte man wieder Hoffnung, es ginge wbergauf. Was folgte, war ein langer Winter-Lockdown. Nun aber, an diesem Tag Ende Juni: Zuversicht, wo man hinhört.

„Ich habe erkannt, was wichtig ist. Musik gehört definitiv dazu“

Annette hat es sich auf dem Rasen bequem gemacht und genießt die Tönte, die von unten heraufziehen. „Ich bin sehr zuversichtlich“, sagt die 56-Jährige. „Ich bin komplett geimpft und finde es total spannend und schön, wieder Musik zu hören“, so die Lehrerin. Zumal die Künstlerinnen und Künstler zu den Verlierern der Pandemie gehört hätten. Nun, ein Gutes habe der lange Lockdown gehabt. „Ich habe erkannt, was wichtig ist. Musik gehört definitiv dazu.“ Während der Pandemie hat sie Konzerte gestreamt, was den Vorteil hatte, auch mal schnell – natürlich online – zum Beispiel nach Wien zu kommen.

In der Corona-Krise hat sich das Wittener Jazz-Quartett gegründet. An den Tasten (v.re.) Martin Theurer, am Bass Janis Theurer, am Saxofon Milan Kühn und an den Drums Jannik Teuchert.
In der Corona-Krise hat sich das Wittener Jazz-Quartett gegründet. An den Tasten (v.re.) Martin Theurer, am Bass Janis Theurer, am Saxofon Milan Kühn und an den Drums Jannik Teuchert. © Augstein

Um die 50 Menschen haben sich an diesem Samstagmittag gekommen, Kinder, Singles, Pärchen, Familien. Sie liegen auf mitgebrachten Decken und sitzen in Campingstühlen – und genießen das, was sie so lange entbehrt haben. Musik, endlich wieder live, endlich wieder vor Publikum.

Marlene (30), selbst Kulturschaffende, sitzt mit ihrer kleinen Tochter etwas abseits. Sie ist ebenfalls ganz zuversichtlich. „Ich denke, die Kultur wird jetzt boomen, weil sich die Leute danach verzehrt haben.“ In eigener Sache könnte das allerdings nicht zutreffen. Die Film-Editorin, die Opern großer Orchester und Stars schneidet, sind durch den langen Lockdown Aufträge weggebrochen – und vielleicht auch der ein oder andere Kontakt. „Ich bin keine so gute Netzwerkerin“, sagt sie.

Jazz-Musiker aus Witten: „Ich hoffe, Künstler halten jetzt mehr zusammen“

Nun, um seine wirtschaftliche Existenz braucht sich Jazzer Martin Theurer nicht zu sorgen. Der 66-Jährige ist in Rente, macht aber immer noch leidenschaftlich gerne Musik. Er hofft, dass die Künstler etwas gestärkt, vor allem solidarischer aus dieser langen, auftrittsarmen Zeit hervorgehen. „Dass sie mehr zusammenhalten, nachdem sie ja ziemlich abgebügelt wurden.“ Theurer denkt da an die seiner Ansicht nach mangelnde Unterstützung der öffentlichen Hand. Was das Publikum und den Zuspruch angeht, ist er sehr zuversichtlich. „Die Leute haben das echt vermisst.“

Sprach’s und begibt sich wieder an die Tasten. Bei dem Stück von Chick Corea gibt’s gerade Szenenapplaus für das Altsaxofon. Theurer ist froh, dass ihm das Kulturforum beziehungsweise die Musikschule vier Konzerte an Haus Witten bewilligt hat. Der Kultursommer kann kommen.