Witten. Die eine Wittenerin kümmert sich um ihre behinderte Tochter, die andere pflegt ihre Schwiegermutter. Geimpft sind beide nicht – aber verzweifelt.

Sie ist 55 Jahre alt und deswegen beim Impfen eigentlich noch lange nicht an der Reihe. Doch Sabine W. aus Witten ist auch pflegende Angehörige. Sie kümmert sich jeden Tag um ihre Tochter, die schwerst mehrfach behindert ist. Die 31-Jährige wurde nun bei der Lebenshilfe geimpft. Deswegen drängt auch ihre Mutter darauf, endlich den erlösenden Piks zu erhalten. Denn ihre Sorge wächst, sich doch noch mit Corona anzustecken. „Und wer pflegt dann meine Tochter?“

Die junge Frau ist geistig und körperlich schwer behindert und außerdem blind – sie hat Pflegegrad fünf. Die ersten vier Monate nach Ausbruch der Pandemie war sie komplett zuhause, hat sich ihre Mutter den ganzen Tag um sie gekümmert. Hoffnung hatte sie geschöpft, als es hieß, pflegende Angehörige würden als Kontaktperson mitgeimpft. Doch der Lebenshilfe sei es leider nicht möglich gewesen, ihr und den anderen betroffenen Eltern ein Impfangebot zu machen, bedauert Geschäftsführer Dr. Dieter König.

Werkstatt der Lebenshilfe in Witten: Wochenlang auf Impftermin gewartet

Die Werkstatt der Lebenshilfe an der Dortmunder Straße, wo auch Sabine W.s Tochter arbeitet, habe selbst wochenlang auf einen Termin gewartet. „Ich möchte keine Kritik üben, aber die Situation war schon sehr unbefriedigend“, sagt König. „Wir mussten hinter den Senioren- und Pflegeheimen, die längst durchgeimpft sind, zurückstehen, obwohl die Vulnerabilität unserer Mitarbeiter dieselbe ist.“

Ein großes Schild an der Dortmunder Straße in Witten weist auf die Einfahrt zur Werkstatt der Lebenshilfe hin.
Ein großes Schild an der Dortmunder Straße in Witten weist auf die Einfahrt zur Werkstatt der Lebenshilfe hin. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Nun aber hat die Lebenshilfe vergangenen Donnerstag (8.4.) endlich 620 Impfdosen von Biontech erhalten, ist der Geschäftsführer froh. Am Tag darauf rückte ein Team aus fünf Ärzten und medizinischem Personal an. Um acht Uhr früh ging’s mit den Impfungen los, kurz nach 15 Uhr waren alle durch.

Die Busfahrer, die die Menschen mit Behinderungen zur Arbeit in der Werkstatt bringen und abholen, waren zuerst an der Reihe. Dann folgten Betreuer und alle, die dort arbeiten. Auch das Personal der Frühförderstelle und der familienunterstützende Dienst konnten geimpft werden. „Alles hat perfekt funktioniert“, sagt König. Nur der Termin für die Zweitimpfung stehe noch nicht fest. „Der ist irgendwann im Mai.“

Pflegende Angehörige aus Witten: Auf der Warteliste des Hausarztes stehen 500 Namen

Natürlich sei sie froh, dass ihre Tochter nun geimpft ist, sagt Sabine W. Sie durfte sogar dabei sein, weil es eben mit ihrer Tochter nicht ganz einfach sei. Nur geimpft werden konnte sie da selbst nicht. Natürlich hat sich die Wittenerin gleich erkundigt, wann sie wohl an der Reihe sein könnte. Das Impfzentrum des Kreises habe sie an den Hausarzt verwiesen. Ihr eigener habe kurz vor Corona die Praxis aufgegeben, der Hausarzt ihrer Tochter habe eine Warteliste, auf der schon 500 Namen stehen.

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Auch Petra S., die ihre 86-jährige Schwiegermutter pflegt, hat noch keinen Termin. „Als wir meine Schwiegermutter Anfang März unter großem Aufwand ins Impfzentrum gebracht haben, war das noch nicht möglich.“ Dabei, sagt sie, sei man als pflegende Angehörige ja immer einem Risiko ausgesetzt. Inzwischen haben sie und ihr Mann – er ist selbst hoch gefährdet und wurde vom Hausarzt als priorisiert eingestuft – alle nötigen Bescheinigungen, aber weder im Impfzentrum noch beim Hausarzt hatte das Ehepaar bislang Erfolg. Petra S.: „In Hagen etwa läuft das alles wesentlich unbürokratischer.“

Sabine W. jedenfalls verzweifelt langsam. „Ich habe schon genug Sorgen. Da will ich mir nicht noch zusätzlich Gedanken über einen Impftermin machen müssen.“