Witten. Die Zahl der Kinder, die in Witten Frühförderung brauchen, ist im Laufe der letzten fünf Jahre von 180 auf 320 gestiegen. Das ist alarmierend.
Das Team der Frühförderstelle bei der Lebenshilfe hat gut zu tun. Die Zahl der Kinder, die Unterstützung bei ihrer Entwicklung brauchen, steigt stetig. 320 Jungen und Mädchen betreuen die Mitarbeiter derzeit – vor fünf Jahren waren es etwa 180. Auch die Art der Probleme, deretwegen Eltern dort Rat und Hilfe suchen, hat sich verändert.
„Es gibt Zunahmen bei Sprachentwicklungsverzögerungen und bei Wahrnehmungsstörungen“, sagt Diplom-Heilpädagogin Sabine Hebenstreit (53). Sie leitet die Frühförderstelle, die seit Januar 2014 nicht nur Räume am Wannen in Heven hat, sondern auch eine Zweigstelle an der Annenstraße, um den Eltern kürzere Wege zu bieten.
Dritter Standort wird dazukommen
Ein dritter Standort wird ab Dezember dazukommen: Gegenüber der Hevener Einrichtung hat die Lebenshilfe Räume einer ehemaligen Arztpraxis angemietet. Sie ist 170 Quadratmeter groß und soll den Bedarf an Kapazitäten im Vormittagsbereich decken. „Das ist ein Glücksfall für uns, denn wir haben sehr kompetente teilzeitbeschäftigte Mütter, die wir unbedingt halten wollen.“ 20 Stellen umfasst das pädagogische Team. Früher seien es wesentlich weniger gewesen.
Die neuen Räume werden auch dabei helfen, Kinder weiterhin so schnell wie möglich aufnehmen zu können. „Bisher haben wir es durch enorme Kraftanstrengung hingekriegt, dass wir keine Warteliste brauchen“, so Hebenstreit. Schließlich habe bei Ein- oder Zweijährigen ein halbes Jahr große Bedeutung für die Entwicklung. Es gebe ein „sensibles Zeitfenster, um Schwierigkeiten angehen zu können“. Maximal zwei bis drei Monate dauere es vom ersten Kontakt bis zur Förderung.
Ab 2020 bewilligt der Landschaftsverband die Anträge
Bislang war der EN-Kreis für die Bewilligung zuständig. „Da bedanken wir uns für die stets zügigen Verfahren“, lobt Lebenshilfe-Geschäftsführer Dieter König die Zusammenarbeit mit dem Gesundheits- und dem Sozialamt des Kreises. Ab 2020 wird dann der Landschaftsverband Westfalen-Lippe die Bewilligung neuer Fälle übernehmen. „Wir hoffen, dass es mit dem neuen Kostenträger genauso gut weitergeht.“
Frühgeborene gehörten lange zu den häufigsten Besuchern der Frühförderstelle. Doch eine immer bessere Versorgung in den Kliniken führe dazu, dass diese Kinder weniger körperliche und geistige Defizite aufweisen. Woran also liegt es, dass Frühförderung trotzdem mehr denn je nötig ist? Sabine Hebenstreit geht vorsichtig mit ihren Mutmaßungen um. „Viele Gründe kennen wir gar nicht.“ Es könne zum Beispiel auch einfach daran liegen, dass Eltern eine höhere Bereitschaft entwickeln, Fördermöglichkeiten in Anspruch zu nehmen.
Höherer Medienkonsum bereitet Experten Sorgen
Doch vor allem der höhere Medienkonsum bei Kindern unter drei Jahren bereitet Sabine Hebenstreit große Sorgen. Und damit meine sie nicht das Fernsehen – „da haben die Kinder ja noch die Hände frei“. Doch in diesem Alter mehrere Stunden am Tag mit Handy oder Tablet zu verbringen – „das ist einfach zu früh“ und führe nicht nur zu Problemen in der Kommunikation. Hebenstreit: „Kinder müssen ihre Umwelt begreifen.“ Wer etwas nur auf dem Monitor sehe, dem fehle der Geruch, der Geschmack und die dreidimensionale Vorstellung.
Sabine Hebenstreit setzt weiterhin auf die gute Zusammenarbeit der Frühförderstelle mit Familien, Kitas und Kinderärzten, um den betroffenen Kindern mehr Teilhabe im Leben zu ermöglichen.
Schwerpunkt der Lebenshilfe hat sich verschoben
„Unser Schwerpunkt hat sich generell verschoben“, sagt Lebenshilfe-Geschäftsführer Dieter König. Als die Lebenshilfe 1960 mit ihrer Arbeit begann, standen vor allem Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung, etwa dem Down Syndrom, im Fokus. Inzwischen gebe es so viele Facetten. „In unserer Werkstatt verschwimmen die Grenzen zwischen einer geistigen und einer psychischen Beeinträchtigung ganz stark.“
Vier Kitas unterhält die Lebenshilfe mittlerweile in Witten: die Kita Wannen, die Schatzkiste an der Dortmunder Straße, die Blumenwiese in Bommern und – als älteste – die Kita Helenenberg. Über 200 Kinder besuchen die Kitas, davon haben etwa ein Viertel eine geistige Beeinträchtigung. Sondereinrichtungen gibt es nicht mehr.
Förderschulen hält König dennoch für notwendig. „Wir plädieren da aber weiterhin für eine Wahlmöglichkeit.“