Witten. Ein Wittener (87) hat von seinem neuen Vermieter eine fristlose Kündigung erhalten. Viele andere Mieter wurden abgemahnt. Konzern rudert zurück.

Aufwühlende Tage liegen hinter Arno Fischer. Der 87-Jährige lebt seit 60 Jahren in seiner Wohnung in der Siedlung Auf dem Höffken in Witten-Heven. „Als die Häuser neu gebaut wurden, sind wir als eine der ersten hier eingezogen“, erzählt er. Mitte März dann der Schock: Er erhielt ein Schreiben mit der fristlosen Kündigung. Binnen neun Tagen sollte er ausziehen und seine Wohnung „besenrein“ übergeben.

„Ich konnte nicht mehr schlafen, hab mir ständig Gedanken gemacht“, sagt Fischer, der jahrzehntelang im Stahlwerk von Thyssen gearbeitet hat. „Ich möchte hier nicht mehr weg, hier ist alles auf mich eingerichtet. Wie soll ich denn noch mal von vorne anfangen, das geht doch nicht.“

Kündigung für Wittener Rentner wegen angeblicher Miet-Rückstände von 6000 Euro

Fast umgefallen sei sie, als sie von dem drohenden Rauswurf ihres Vaters erfahren habe, sagt Susanne Keutmann, eine der beiden Töchter von Arno Fischer. Für so einen alten Menschen sei das „existenzbedrohend“. „An dieser Wohnung hängen so viele Erinnerungen, all die Familienfeste, die wir hier zusammen gefeiert haben.“ Zudem ist ihr Vater auf Unterstützung im Alltag angewiesen, in seiner Mobilität stark eingeschränkt. „Hier in der Wohnung kommt er aber gut zurecht, kennt jeden Zentimeter.“

Das Haus, in dem Arno Fischer lebt, ist in einem ungepflegten Zustand. „Man lässt es absichtlich verwahrlosen“, sagt seine Tochter. Seit 2005 haben die Häuser in der Siedlung in Witten-Heven immer wieder den Besitzer gewechselt.
Das Haus, in dem Arno Fischer lebt, ist in einem ungepflegten Zustand. „Man lässt es absichtlich verwahrlosen“, sagt seine Tochter. Seit 2005 haben die Häuser in der Siedlung in Witten-Heven immer wieder den Besitzer gewechselt. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Das Kündigungsschreiben für Fischer verweist auf Miet-Rückstände in Höhe von fast 6000 Euro. Weitere Mieter der kleinen Siedlung haben ähnliche Schreiben erhalten. Von drei Kündigungen und 15 Mahnungen mit Androhung einer Kündigung weiß allein der Mieterverein Witten von seinen Mitgliedern. Insgesamt leben rund 60 Parteien in den Mietshäusern.

Neuer Eigentümer hatte Häuser im Januar erworben

Im Januar waren die Häuser in Heven vom vorherigen Eigentümer, dem Luxemburger Immobilienkonzern Grand City Properties, an das Schweizer Unternehmen Peach Property verkauft worden. Das Unternehmen hat NRW-weit ein Paket von 4500 Wohnungen übernommen. Auch Mieter in Dortmund haben sich mit ähnlichen Forderungen wie die Bewohner in Heven konfrontiert gesehen.

Bei den Forderungen handelt es sich laut Mieterverein um aufsummierte Beträge von zurückgehaltenen Nebenkosten und Mieterhöhungen. Denn seit Jahren streitet der Verein mit dem jeweiligen Besitzer der Häuser, die seit 2005 ständig wechselten, wie Knut Unger, Sprecher des Mietervereins erklärt. „Seitdem hat es nicht eine einzige vollständig korrekte Nebenkostenabrechnung gegeben.“

Unternehmen zieht Kündigungen zurück

Inzwischen bemüht sich Peach Property um Schadensbegrenzung. Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, dass man auf Forderungen, die bis zum 31.12.2020 angefallen sind, zu Gunsten der Mieter verzichten wolle. Auch alle Kündigungen würden in diesen Fällen zurückgenommen. Man bedauere die Sorgen, die dadurch bei den Mietern entstanden seien, sehr.

Eine große Last fällt bei dieser Nachricht von Arno Fischer und seiner Tochter ab. „Meinen Vater hat das auch gesundheitlich richtig mitgenommen, er war ganz blass“, sagt Susanne Keutmann. „Ich weiß nicht, wie es ausgegangen wäre, wenn mein Vater tatsächlich hätte umziehen müssen.“

Mieterverein begrüßt Kehrtwende

Knut Unger vom Mieterverein Witten begrüßt die Kehrtwende des Immobilienkonzerns. „Wenn sie tatsächlich auf Altforderungen verzichten, könnte man noch einmal von vorne anfangen.“ Der Verein beklagt seit Jahren falsche Abrechnungen in den Häusern: „Mal wurden Heiz- und Müllkosten völlig falsch aufgeteilt, dann wurden Mietzahlungen nicht korrekt aufgeführt oder Winterdienstkosten verlangt, obwohl die Mieter den Schnee fegten.“

Für Forderungen, die sich seit dem 1.1. ergeben haben, will sich Peach Property mit den betroffenen Mietern und dem Mieterverein an einen Tisch setzen. Der Konzern versichert, dass eine mieterfreundliche Lösung gefunden wird.

Nun ist die Familie erleichtert und froh, wenn auch nicht euphorisch. „Da kommt sicher noch mal was“, ist sich der 87-Jährige sicher. Und ärgert sich über das Verhalten des Konzerns. „Da geht es nur ums Geld, die Menschen spielen keine Rolle.“ Auch seine Tochter sieht das Geschäftsgebaren des neuen Vermieters kritisch: „Dass das Unternehmen direkt mit so harten Bandagen kämpft, beruhigt mich nicht gerade.“