Witten. . Als Pflegewissenschaftlerin hat sie sich bundesweit einen Namen gemacht. Jetzt verabschiedet die Uni Witten/Herdecke Prof. Angelika Zegelin in den Ruhestand.
Sie ist eine der bekanntesten Pflegewissenschaftlerinnen Deutschlands. Eine Frau, die, mit dem Volksschulabschluss in der Tasche, mit 13 Jahren die Schule verließ und wie ihre Mutter Krankenschwester wurde. Angelika Zegelin holte ihr Abi an der Abendschule nach – bei voller Berufstätigkeit – und hat schließlich an der Uni Witten/Herdecke den ersten pflegewissenschaftlichen Studiengang in Deutschland mit aufgebaut. Heute wird die Professorin an der Universität offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Mit 63 hat sie aber noch ganz viel vor.
„Ich habe 50 Jahre lang gearbeitet, war immer für andere da und habe jetzt ein paar Zipperlein. Ich finde es schön, in Rente zu gehen“, sagt sie. Ein Kinderbuch möchte sie schreiben und ein Buch für Erwachsene. Titel: „Vorsicht Krankenhaus“. Usbekistan und die ostafrikanische Insel Sansibar will sie sich noch angucken. „Sonst habe ich schon viel von der Welt gesehen.“ Dass sie künftig mehr Zeit für ihren Schrebergarten in Dortmund-Hombruch haben wird, freut die Mutter einer erwachsenen Tochter auch. Und natürlich wird sich die Professorin weiter für eine Verbesserung der Pflege in Deutschland stark machen.
Herzenssache: andere für die Pflege begeistern
Angelika Zegelin kann auf ein bewegtes Berufs- und Privatleben zurückblicken. Tod und Leid hat die gebürtige Dortmunderin schon als Kind erlebt. Ihr Vater starb, da war sie gerade elf. Die Mutter ernährt die Familie, zu der noch zwei behinderte Geschwister gehören, als Dauernachtwache im Krankenhaus.
„Menschen wollen und brauchen Zuwendung“
An der Uni Witten/Herdecke wird es am Dienstag (6. Oktober) eine Tagung zu Ehren von Prof. Angelika Zegelin geben, zu der 200 Teilnehmer erwartet werden. Das Thema der Veranstaltung liegt ihr seit Jahrzehnten am Herzen: „Die sprechende Pflege.“ Meint: Pflegekräfte, die nicht nur ihre Tätigkeit verrichten, sondern sich mit dem zu Pflegenden und dessen Angehörigen unterhalten, diese trösten, beraten und informieren.
Zegelin, die nach Ende der Tagung am Abend offiziell von der Uni verabschiedet wird, ist sich sicher, dass sich die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte künftig verbessern werden. „Heute gibt es noch drei Ausbildungen in der Pflege: die Gesundheits- und Krankenpflege, die Altenpflege und die Kinderkrankenpflege. Ab 2017 gibt es nur noch eine Ausbildung für alle Pflegekräfte.“ Eine Folge sei, dass Heimträger künftig um die Absolventen mit Kliniken und ambulanten Diensten konkurrieren müssten. „Das wird sicher Auswirkungen auf die Bezahlung haben. Außerdem wird man sich Gedanken über familienfreundlichere Arbeitsbedingungen machen müssen.“
Die Pflegewissenschaftlerin, die für ihr vielfältiges Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, kritisiert, dass durch den Zeitdruck, unter dem in der Pflege gearbeitet werde, Wichtiges auf der Strecke bleibe. „Etwa, wenn Menschen, die im Rollstuhl sitzen, weil sie schwach sind, nicht mehr auf die Beine gestellt werden, um sie zu waschen.“ Auch komme auf Krebs- und Intensivstationen die „Seelenpflege durch Gespräche “ viel zu kurz. Das Gleiche gelte für Altenheime. „Da gibt es Menschen, die weinen und weinen, weil sie dort nicht sein wollen. Menschen wollen und brauchen Zuwendung!“
Tocher Angelika verdient zunächst ein Zubrot als Pflegevorschülerin. Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester und einer zweijährigen Arbeit auf der Intensivstation wechselt sie 1974 als Pflegelehrerin an die Krankenpflegeschule der Städtischen Kliniken Dortmund. Andere für den nicht einfachen Pflegeberuf zu begeistern, fit zu machen, war ihr eine Herzenssache. Ihr erster Mann war schwer chronisch krank und bereits mit Mitte 30 Rentner. Angelika Zegelin ernährte die Familie, und studierte nebenbei Erziehungswissenschaften an der Fernuni Hagen.
Kontakt zu Konrad Schily
Ihr Leben bekommt noch einmal eine neue Wendung, als sie Christel Bienstein kennenlernt, die damalige Leiterin des Bildungszentrums des deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe in Essen, wo Zegelin von 1993 bis 1996 arbeitet. Bienstein nahm Kontakt zu Konrad Schily auf, dem Gründungspräsidenten der Uni Witten/Herdecke, weil sie sich darüber wunderte, dass es nirgendwo in Deutschland ein Pflege-Studium gab. „Schily schlug ihr vor, doch ein Konzept hierfür zu erarbeiten.“ Zegelin folgte der Freundin und Kollegin nach Witten. „Da haben wir dann mit zwei Mitstreitern an einem Küchentisch gesessen und uns überlegt, wie so etwas gehen, welche Professoren man einstellen könnte.“
„Mich ärgert, dass der Pflegeberuf so wenig anerkannt wird“
Das Institut für Pflegewissenschaft, heute Department für Pflegewissenschaft genannt, wurde 1995 in Witten gegründet. Zum Sommersemester 1996 startete die Privatuni mit den ersten 28 Studenten der Pflegewissenschaft. Premiere an einer deutschen Hochschule. Erst drei Jahre später erkannte das NRW-Wissenschaftsministerium den neuen Studiengang als Modellprojekt an. Seit 1996 ist auch Pflegewissenschaftlerin Angelika Zegelin am Institut beschäftigt und dort als Curriculum-Beauftragte verantwortlich für die Entwicklung der Studiengänge. Prof. Christel Bienstein ist Leiterin des Departments für Pflegewissenschaft.
Die Pflege, so betont Zegelin, habe hierzulande immer noch kein politisches Gewicht. „Mich ärgert, dass der Pflegeberuf finanziell wie auch gesellschaftlich so wenig anerkannt wird.“ Auch wenn sich dies in „Sonntagsreden von Politikern“ oft anders anhöre. Kollegen in der Praxis seien häufig frustriert über ihre Arbeitsbedingungen, über Pflege mit der Uhr im Nacken, die oft die wichtige und notwendige menschliche Zuwendung nicht zulasse und auch die Gesundheit der Pflegenden strapaziere. „Dies gilt sowohl für die Arbeit im Krankenhaus und Altenheim wie auch für den ambulanten Bereich. Da fehlt es an Geld, an Personal.“ Angelika Zegelin war nie eine Schönrednerin. „Die Pflegekräfte müssen streiken, alles lahmlegen, um etwas zu ändern.“