Witten. Im Bahnhofsviertel lässt die Genossenschaft Witten-Mitte drei ihrer Häuser abreißen. Die Redaktion besuchte diese ganz besondere Baustelle.
Der Abriss von drei Häusern im Bahnhofsviertel ist Präzisionsarbeit. Natürlich ist das Gelände an der Bellersloh-/Ecke Bergerstraße abgesperrt. Aber trotzdem sind Passanten immer in der Nähe. Ein Fall für Kristofer Bracht.
Bagger frisst sich durch den riesigen Berg aus Bauschutt in Witten
Der 33-jährige Bauleiter fährt selbst den schweren schwarz-gelben Bagger, der sich durch den bereits angehäuften Bauschuttberg frisst. Gierig greift dieser sich Wohnzimmerwände und Schlafzimmerdecken, Dächer und Dielen. Mit dem Volvo hätte sich der Baumaschinenführer der Firma Russow aus Iserlohn bei „Wetten, dass...?“ bewerben können.
„Er kann ein Glas aufheben“, sagt Bracht. Damit meint er den „Abbruch- und Sortiergreifer“, der die sonst übliche Schaufel ersetzt. „Er greift sich die Sachen raus, zieht Wände, drückt sie um“, beschreibt Bracht sein wichtigstes Besteck - das öfter gewechselt wird. Denn gleich vor Ort werden die dicken Brocken zerkleinert.
Dann kommt der „Bröseler“ zum Einsatz. Er sieht aus wie eine lange Zange, die mit ihren spitzen Zähnen selbst Beton zerhackt. Und wenn sogar der Bröseler nicht mehr weiterkommt, weil das Material zu dick ist, muss die „Schere“ mit ihren jeweils nur zwei Zähnen ran. Nur wenn gar nichts mehr hilft, „kommt der Hammer dran“, sagt Bracht.
Die Bimssteinwände der Häuser in Witten sind für den Volvo leichte Beute
Doch die Wände der Bellerslohstraße 25, von der an diesem Freitagmittag nur noch das Gerippe steht, sind leichte Beute für den Greifer. „Bimsstein“, sagt Kristofer Bracht. „Ziegelwände wären robuster.“ Um das Material anschließend zu zerkleinern, drückt der „Bröseler“ mit 60 Tonnen Kraft zu. Alles wird vom Bagger aus gesteuert. Den fährt der Bartträger mit der orangenen Arbeitsschutzkleidung seit nunmehr sechs Jahren. „Das ist mein Wohnzimmer“, sagt er lachend. Deshalb liegt auch ein Teppich drin.
Der hoffentlich nicht dreckig wird. Denn selbst die bis zu 120.000 Liter Wasser, die täglich wie aus einer Schneekanone unter ohrenbetäubendem Lärm auf die Trümmer „geschossen“ werden, können den Staubanteil nicht ganz verringern. Deshalb: Masken kennen die Arbeiter schon viel länger, allein wegen des Asbestes, auf den sie in den älteren Häusern immer wieder stoßen. Bei Hausnummer 32 war eine ganze Fassade damit verkleidet.
Der Bagger zieht das Haus immer zu sich hin
Zwei von drei Genossenschaftshäusern wurden schon fast dem Erdboden gleichgemacht. Was für Außenstehende wie ein chaotisches Trümmerfeld wirkt, ist alles wohldurchdacht. Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Dafür ist Abbruch - Bracht spricht von „Rückbau“ - auch viel zu gefährlich.
„Hier laufen den ganzen Tag Leute unten rum“, sagt der ehemalige Baumpfleger und blickt auf die Bergerstraße. Deshalb gilt nicht nur bei Sturm die Devise: „Alles, was lose ist, muss weg sein.“ Und: Der Bagger zieht die Gebäudeteile immer zu sich hin, also nach innen. Man fängt immer oben an und arbeitet sich dann nach unten durch. „Wenn ich einfach unten die Wände wegkloppe, läge der Rest des Hauses auf dem Bagger.“
Von Hausnummer 25 in der Bellerslohstraße steht fast nur noch die Vorderseite
Nun, von Hausnummer 25 steht fast nur noch die Vorderseite zur Bellerslohstraße hin. Das Dach ist weg, zur Bergerstraße hin erkennt man noch die Front mit den drei Balkonen.. Auf der Rückseite klafft eine riesige offene Wunde. „Man kann wie früher in einem Puppenhaus hineingucken“, sagt Bracht.
Die Mieter in der dritten Etage hatten weiße Badezimmerfliesen, die im zweiten Stock mochten grüne Wände. Das alles wird in Kürze Geschichte sein. Hausnummer 27 ist schon weg. Nummer 25 hat es fast geschafft. Bleibt noch Nummer 32. Noch rund drei Wochen, dann ist das Gelände bereinigt und die Wohnungsgenossenschaft Mitte kann mit ihrem Verwaltungsneubau loslegen.
Bauschutt wird recycelt und in Witten wieder eingebaut
Bis dahin trennt die Drei-Mann-Truppe aus dem Märkischen Kreis Holz und Bauschutt, Schadstoffe wie Asbest und Glaswolle, und natürlich Müll. Die zerkleinerten Steine werden hinterher wieder in die Bodenplatte und neue Baustraße eingebaut. Recycling eben. Gefahrengut kommt zum Sondermüll. Bevor der Bagger erstmals rollte, wurden die Gebäude entkernt, Türen, Böden herausgenommen, damit nicht hinterher alles durcheinander fliegt.
Bis in die Dunkelheit hinein verrichtet der Bagger unerbittlich sein zerstörerisches Werk. Immer wieder greift er sich Stücke aus dem Haus, dann scheppert es auch mal gewaltig. Seine acht LED-Scheinwerfer hüllen das Trümmerfeld abends in ein gespenstisches Licht. Wenn Kristofer Bracht seinen Führerstand verlässt, liegen bis zu zwölf Stunden hochkonzentrierte Arbeit hinter ihm. Danach freut er sich nur noch aufs Sofa daheim.
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