Witten. Sein ganzes Arbeitsleben hat Rainer Demarck beim Kaufhof Witten verbracht. Damit ist es nun vorbei. Die Bilanz der 62-Jährigen fällt bitter aus.
Am 1. August 1973 hat Rainer Demarck seinen Dienst bei Horten angetreten, dort, wo damals noch der Supermarkt war. 47 Jahre hat er dort gearbeitet, im Lager, in der Warenannahme, dann im Verkauf. „Ich war immer im Untergeschoss, bei Hartwaren“, sagt er. Ein ganzes Berufsleben lang. Morgen ist es vorbei. Kaufhof wird geschlossen. Der 62-Jährige schüttelt resigniert den Kopf: „Das Ende hätte ich mir anders gewünscht.“
Rainer Demarck ist keiner, der viele Worte macht. Die Wut ist verraucht, so scheint es, geblieben ist Resignation. Aber wenn er an den 19. Juni denkt, den Tag, an dem die Schließung des Hauses in Witten bekanntgegeben wurde, dann wird er doch einmal energisch. „Die haben die Liste mit den Städten am Telefon einfach nur verlesen – das war stillos.“
Das Aus für das Haus in Witten sei völlig ungerecht
Aus heiterem Himmel sei das Aus gekommen. „Unsere Zahlen waren gut, wir gehörten zu den drei besten Häusern im Unternehmen“, sagt Demarcks Kollegin Heike Ulrich. Sie ist Abteilungsleiterin, seit 1981 in der Firma. Dass das Haus geschlossen werde, sei einfach nicht zu verstehen. „Ja, es ist ungerecht, definitiv.“
Dabei sei der Mietvertrag doch schon verlängert gewesen, für weitere fünf Jahre. Das habe den Kollegen Sicherheit gegeben, sagt Ulrich. Doch die war trügerisch. Denn dann kam die Insolvenz. „Und diese Situation wurde von der Konzernleitung ausgenutzt, um kurzfristig aus dem Vertrag rauszukommen.“ Das sei vor allem eine Entscheidung gegen Witten gewesen, meint die 55-Jährige. „Eigentlich hat das Unternehmen der Stadt damit gesagt, dass es hier keine Zukunft sieht.“
750 Mitarbeiter arbeiteten bei Horten in Witten
Dabei gab es eine große Vergangenheit: „750 Menschen waren wir hier bei Horten, als ich angefangen habe“, erinnert sich Rainer Demarck. 750 – am Ende waren es noch 30. Damals habe es im Geschäft auch mehr Arbeit gegeben, die Ware musste gezählt und ausgezeichnet werden. Und es gab mehr Kunden. „In den 70ern hatten die Menschen Geld, es wurde konsumiert.“ Dann ging es bergab. „Der Stellenabbau hat sich danach all die Jahre wie ein roter Faden durchs Geschäft gezogen“, sagt der 62-Jährige. 1992 drohte zum ersten Mal die Schließung, viele mussten gehen.
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Rainer Demarck konnte bleiben. Ein ganzes Arbeitsleben im gleichen Haus. Hat ihn die große, weite Welt nie gelockt? „Nein, nie“, sagt der Betriebsrat. Der Zusammenhalt unter den Kollegen sei immer toll gewesen, die Arbeit in der Gewerkschaft auch, der Kontakt zu den Kunden prima. „Und dazu kommt: Horten und Kaufhof waren gute Arbeitgeber.“ Da sei es üblich gewesen, das man lange bleibt. Die seien immer gut mit ihren Mitarbeitern umgegangen, nur jetzt am Schluss nicht mehr. Heike Ulrich winkt ab: „Aber das ist ja auch Karstadt.“
Mitarbeiter in Witten sind auf Karstadt nicht gut zu sprechen
Auf Karstadt sind die beiden Verkäufer nicht gut zu sprechen. Nach der Fusion im letzten Jahr sei schnell das große Erschrecken gekommen. „Uns wurde das Karstadt-System übergestülpt“, sagt die 55-Jährige. Veraltete Systeme, dazu eine schlechte Vernetzung. „Wenn Kaufhof-Häuser dicht gemacht wurden, gab es immer eine interne Stellenbörse“, erzählt Demarck. Mitarbeiter wurden in anderen Filialen bevorzugt eingestellt. Diesmal müssten alle gehen. „Das hab ich so noch nie erlebt, das ist einfach mies gelaufen.“ Eigentümer René Benko nehme seine soziale Verantwortung einfach nicht wahr, meint der 62-Jährige bitter. Dabei heiße es doch eigentlich: Eigentum verpflichtet. „Und wozu? Zu nichts.“
Die verbliebenen Mitarbeiter wechseln in eine Transfergesellschaft. Ob sie danach wieder ein Job finden, ist unsicher. „Viele machen sich Sorgen, da hängen ja Existenzen dran“, weiß Heike Ulrich. Den Kolleginnen und Kollegen seien die letzten Wochen an die Substanz gegangen. Den Laden leer zu machen, zu sehen, wie alles den Bach runtergeht: „Das tut weh, vor allem wenn man nicht versteht, warum“, so Ulrich. Die Mitarbeiter hätten daran „arg zu knapsen“. Viele Tränen seien geflossen.
Negative Folgen für die City
„Nicht nachvollziehbar“ nennt auch Verdi-Gewerkschaftssekretärin Monika Grothe die Entscheidung der Konzernzentrale, den Standort Witten zu schließen. Sie habe wahrgenommen, „dass der Laden läuft“. Für die Mitarbeiter sei es umso schwerer mit dem Ende umzugehen.
Die Gewerkschafterin fürchtet negative Folgen für die Wittener City. „Stirbt das Kaufhaus, stirbt die Stadt“, das habe sich immer wieder bewahrheitet. Arbeitgebern in der Region empfiehlt sie, die entlassenen Kolleginnen und Kollegen von Kaufhof einzustellen. „Alle Unternehmen können froh sein, Mitarbeiter aus diesem Kaufhof-Haus zu bekommen.“
Ob der Kaufhof nun am Freitag noch einmal aufmacht oder nicht, für die beiden langjährigen Mitarbeiter ist es gleichgültig. Zu verkaufen haben sie eh nichts mehr. Demarck will die Regale säubern, denn die werden noch einmal gebraucht. Heike Ulrich wird ihren Schreibtisch ausräumen. „Wir übergeben das hier so, wie wir auch eine Wohnung übergeben würden.“ Bis zum letzten Tag hätten alle ihren Job gemacht. „Ordnungsgemäß. Das ist unser Anspruch.“
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