Witten. Ein junger Mann aus Witten hat Corona-Symptome. Tagelang versucht er, eine Praxis zu finden, die ihn testet. Die Geschichte einer Odyssee.

Vier Tage lang hat Dominik Ballhausen vergeblich versucht, einen Arzt zu finden, der ihn auf das Coronavirus testet. Etwa 60 Telefonate hat der 22-Jährige aus Witten in dieser Zeit geführt: mit Hausärzten, Krankenhäusern, Gesundheitsämtern, dem Bürgertelefon des EN-Kreises. Denn er hätte gern Gewissheit. Immerhin hatte er Kontakt zu einem Infizierten und zeigt selbst Symptome.

Mit erhöhter Temperatur, Kopfschmerzen, Müdigkeit und trockenem Husten fing es am Freitagnachmittag (9.10.) an. Später am Abend zeigte Dominiks Corona-Warn-App zwei Risikobegegnungen an. Von einer wusste er da schon. Denn ein Freund, der ihn am Wochenende zuvor besucht hatte, war inzwischen positiv getestet worden.

Gesundheitsamt in Witten verweist an das Bürgertelefon des Kreises

„Das hat er mir an jenem Freitag sofort mitgeteilt. Daraufhin habe ich meinen Arbeitgeber informiert und mich selbst in Quarantäne begeben“, sagt Dominik, der als Veranstaltungskaufmann gerade in Kurzarbeit ist und berufsbegleitend studiert. Auch beim Wittener Gesundheitsamt habe er angerufen. Per Bandansage sei er an das Bürgertelefon des Kreises verwiesen worden. Dort wollte man seine Daten ans Kreisgesundheitsamt weitergeben.

Das meldete sich am Samstagnachmittag (10.10.) bei Dominik Ballhausen und verordnete ihm Quarantäne bis zum 18. Oktober. Ein offizieller Brief solle folgen. In der Nacht zuvor hatte der junge Mann noch den Ärztlichen Bereitschaftsdienst kontaktiert. „Ich war mir plötzlich unsicher, wollte mich informieren, ob ich mich nicht am Wochenende irgendwo testen lassen könnte.“

Der Patient erfährt: Krankenhäuser in Witten testen nicht ambulant

Seine Sorge galt vor allem den Kollegen im Büro, von denen einige zur Risikogruppe gehören. Dominik solle Montagmorgen zum Hausarzt gehen, so die Auskunft. Er versuchte es noch bei den beiden Wittener Krankenhäusern. „Doch die testen grundsätzlich nicht ambulant.“

Am Sonntag dann rief das Gesundheitsamt Essen an, um ihn zu informieren. Denn dort wohnt der infizierte Freund. Mittlerweile fühlte sich Dominik sehr angeschlagen, hatte auch Halsschmerzen. Er setzte alle Hoffnungen auf den Montagmorgen, stellte sich den Wecker auf 7.30 Uhr und rief seinen Hausarzt an – der im Urlaub ist, wie er per Bandansage erfuhr.

Die Antworten der Wittener Ärzte haben den jungen Mann schockiert

Die genannte Vertretung sei zu Fuß über eine Stunde entfernt. „Das kam für mich in meinem Zustand nicht in Frage.“ Denn selbst Auto zu fahren, habe er sich nicht zugetraut. Eine Fahrt mit Taxi oder Bus wollte er vermeiden. „Eventuell bin ich ja hochansteckend.“ Daraufhin habe er weitere sieben Ärzte in der näheren Umgebung seiner Wohnung, wo er allein lebt, angerufen. Ohne Erfolg.

Der Weg zum Test

„Hausärzte müssen Patienten mit Symptomen grundsätzlich versorgen“, sagt Vanessa Pudloh, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). Nur wenn sie nicht genug Kapazitäten haben, dürfen sie Patienten laut Berufsordnung tatsächlich ablehnen, außer im Notfall.

Die KVWL hat eine Liste mit Ärzten erstellt, die auf jeden Fall auf Corona testen. 18 haben sich in Witten dazu bereit erklärt. Sie sind zu finden auf der Seite enkreis.de unter FAQ Corona.

Vor allem Menschen ohne Symptome, die sich testen lassen wollen (etwa Lehrer oder Reiserückkehrer), sollen sich an diese Ärzte wenden. Für Menschen, die keine Symptome zeigen, aber Kontakt zu einem Infizierten hatten, ist das Kreisgesundheitsamt zuständig. Sie können sich von 8 bis 18 Uhr an das Bürgertelefon des Kreises wenden, 02333/ 4031449.

„Wir haben keine Kapazitäten.“ „Wir testen nur Bestandspatienten.“ „Wir sind nicht zuständig.“ All das bekam Dominik Ballhausen zu hören, wie er sagt. Er war schockiert, fühlte sich allein gelassen. „Das kann doch nicht sein. Wir befinden uns in einer Pandemie. Es geht um die Gesundheit aller.“

Erneut bat er via Bürgertelefon um Hilfe. Bekam zwei Telefonnummern von Wittener Ärzten, die auf jeden Fall testen – und von jenen dieselben Antworten wie zuvor. Der Mitarbeiter am Bürgertelefon wollte daraufhin das Kreisgesundheitsamt veranlassen, entweder ein Corona-Mobil vorbeizuschicken oder anzuordnen, dass ein Arzt ihn testen soll. Eine Rückmeldung dazu habe er bis Dienstag (13.10.) nicht mehr erhalten.

Auf den Corona-Schnelltest folgt noch ein klassischer Abstrich

Unglückliche Verkettung und mangelnder Informationsstand

Dr. Arne Meinshausen, Facharzt für Allgemeinmedizin, weist darauf hin, dass es sich „bei der geschilderten Odyssee um eine unglückliche Verkettung“ handele und „teilweise um mangelnden Informationsstand. Herr Ballhausen suchte trotz erheblicher Krankheitssymptome in erster Linie eine Abstrichmöglichkeit am Wochenende, die es tatsächlich jeden Samstag als Infektsprechstunde für den EN-Kreis gibt (unsere Praxis hatte Dienst!).

Für die Behandlung symptomatischer Patienten inklusive Abstrich ist der jeweilige Hausarzt zuständig. Wenn der Hausarzt in Urlaub ist, übernimmt seine Vertretungspraxis die Versorgung. Wenn jemand nicht in der Lage ist, die Vertretungspraxis aufzusuchen, sollte diese angerufen und ein Hausbesuch bestellt werden.

Durch WAZ-Vermittlung erreichte der Patient unsere Praxis. Er wurde untersucht, behandelt, erhielt zwei Abstriche und wurde zur Kontrolle wieder einbestellt. Insgesamt haben wir in Witten eine gut verzahnte und funktionierende ambulante Medizin.“

Inzwischen konnte Dominik am Dienstag (12.10.) in der hausärztlichen Gemeinschaftspraxis im Herbeder Rathaus der Medizin zumindest einen Schnelltest machen lassen. Dr. Arne Meinshausen hatte dies auf Initiative unserer Redaktion zugesagt. Das Ergebnis: negativ. Die Virenlast könne laut Aussage des Arztes inzwischen aber auch schon sehr niedrig sein, so dass der Schnelltest diese nicht mehr erfasse. Deshalb folgte noch ein normaler Abstrich – sowie die Diagnose „schwere Bronchitis“. Auch diese könne von einer Coronainfektion ausgelöst worden sein.

Auf das Ergebnis muss Dominik Ballhausen zwei bis drei Tage warten. Er rechnet damit, Corona zu haben. Die Wahrscheinlichkeit bestehe, habe der Arzt gesagt. Angst verspürt er deshalb nicht. Doch die Ungewissheit – sie bleibt vorerst.

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