Witten/Hattingen. Verunsicherte Holland-Urlauber, eine rasant steigende Zahl an Quarantäne-Fällen: Das Infektionsgeschehen in Witten beunruhigt das Gesundheitsamt.
Die zweite Corona-Welle scheint den EN-Kreis erreicht zu haben – zumindest, was die Zahl der „begründeten Verdachtsfälle“ angeht. Mussten am Donnerstag (17.9.) noch 258 Menschen in häuslicher Quarantäne bleiben, waren es am Montag (21.9.) schon 630. Die Zahl der Infizierten liegt bei derzeit 42.
Vor allem sorgen momentan Urlaubsrückkehrer aus Holland, einem weiteren Risikogebiet, für Stress im Gesundheitsamt. „Die Lage ist angespannt“, sagt Astrid Hinterthür, Leiterin des Krisenstabs. Acht Mitarbeiter kümmern sich im Schwelmer Kreishaus im Schichtdienst ausschließlich um die Reiserückkehrer.
„Allein am Wochenende haben uns 379 Mails von Holland-Urlaubern erreicht“, so die Sozial- und Gesundheitsdezernentin. Viele seien verunsichert und fragten zum Beispiel nach Coronatests. Während Flugreisende sich komfortabel am Airport testen lassen können, müssen sich Feriengäste von der holländischen Nordseeküste selbst eine Möglichkeit suchen. Auf der Internetseite www.coronatestpraxis.de sind auch 18 Wittener Hausärzte verzeichnet, die Abstriche nehmen.
Enorme Zugriffszahlen auf Kreis-Homepage und Meldeformular
Nachdem die Provinzen Nord- und Südholland durch das Robert-Koch-Institut zu Risikogebieten erklärt wurden, gab es enorme Zugriffszahlen auf die Homepage und das Meldeformular des EN-Kreises. Am Donnerstag (16.9.) war sogar der Server zusammengebrochen. „Bis jetzt steht unser Holland-Telefon nicht eine Minute still“, sagt Hinterthür. Allerdings: Noch gebe es niemanden aus dem EN-Kreis, der sich in den Niederlanden infiziert habe.
Aktuell sind meist Familien erkrankt
Eigentlich war die Akte „Infizierte Reiserückkehrer“ für das Gesundheitsamt über einen Monat nach dem Ende der Sommerferien schon geschlossen. Wer in Witten ist aktuell erkrankt? „Die Infizierten werden jünger. Es sind meist Familien, die die Infektionen in die Schulen hineintragen“, so die Leiterin des Krisenstabs. Und: „Die Leute wissen zum größten Teil nicht, wo sie sich angesteckt haben. Fälle wie in Hamm, mit vielen Infizierten nach großen Familienfeiern, haben wir im EN-Kreis nicht.“
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Bislang sei das Infektionsgeschehen in Witten (aktuell zehn Erkrankte) und Umgebung „wellenförmig“ verlaufen. Höhepunkte waren beim Lockdown im März, im Juli, als Schulen und Kitas wieder eröffneten, und nach den Ferien. Hinterthür: „Und jetzt befinden wir uns in einer zweiten, aufsteigenden Welle.“
Aktuell Infizierte hatten viele Kontakte
Dass die Region bislang relativ geringe Infektionszahlen verzeichnen kann, führt die Dezernentin auf die Arbeit des Gesundheitsamts zurück. „Man muss frühzeitig unheimlich hinterher sein, die Infektionskette zu durchbrechen. Das ist uns bislang gut gelungen.“
Keine Entwarnung für Berufskolleg und Seniorenzentrum
Aktuell ist zehn Personen aus Witten erkrankt. Weitere Erkrankte meldet das EN-Gesundheitsamt aus Ennepetal (3), Hattingen (21), Herdecke (2), Schwelm (5), Sprockhövel (1). In Breckerfeld, Gevelsberg und Wetter ist derzeit niemand mit dem Corona-Virus infiziert. Allerdings leben zurzeit 630 Personen (Vortag 535) in häuslicher Quarantäne. Sie gelten als „begründete Verdachtsfälle“.
Besonders stark betroffen ist dabei Hattingen, wo die Zahl der Erkrankten durch zahlreiche Einzelfälle an vier Schulen sprunghaft angestiegen ist. Klassen der Gesamtschule, der Realschule Grünstraße, der Grundschule Heggerfeld und dem Berufskolleg befinden sich darum im Distanzunterricht.
Dies gilt auch für eine Klasse des Berufskollegs Witten. Diese Schüler sollen am Dienstag abgestrichen werden. Insgesamt sind für die nächsten Tage so viele Tests geplant, dass die mobile Diagnostik mit vier Fahrzeugen und die stationäre Diagnostik am Schwelmer Kreishaus sehr gut ausgelastet sein werden.
Bei dem Seniorenzentrum in Witten, in dem ein positiver Fall unter den Bewohnern dazu geführt hat, dass mehr als 40 Bewohner und Mitarbeiter auf das Virus getestet werden müssen, stehen die Ergebnisse noch aus.
Allerdings gestalte sich genau diese Arbeit zusehends schwieriger. „Ein Infizierter hat zurzeit viel mehr Kontakte als früher. Die Leute sind aus dem Home-Office zurück, die Kinder gehen in Kitas, Schulen und die OGS, nachmittags ins Fitnessstudio oder zum Sportverein“, so die Leiterin des Krisenstabs. „Man muss viel mehr Kontakte nachverfolgen.“ Die künftigen Wochen betrachtet sie mit Sorge. „Noch ist schönes Wetter, alle lüften und treffen sich im Freien. Was passiert bei kaltem Regenwetter?“
Disziplin bei der Quarantäne nicht immer gegeben
„Viel Stress“ habe die Behörde mit der Kontrolle der Quarantäne bei den Verdachtsfällen. Denn ein Abstrich sei nur eine Momentaufnahme, die Krankheit könne auch noch Tage später ausbrechen. „Das haben wir auch schon gehabt“, sagt Hinterthür.
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Deshalb werden Betroffene ermahnt, auch nach einem negativen Abstrich zuhause zu bleiben. „Die Leute können sich das aussuchen: Entweder rufen wir jeden Tag an oder sie müssen täglich bis 13 Uhr ein Formular zu ihrem Gesundheitszustand ausfüllen und uns schicken.“ Diese Disziplin sei nicht immer gegeben. „Uns rufen Menschen an und berichten, den Nachbarn, der doch in Quarantäne sei, hätten sie gerade bei Lidl getroffen.“ Hinterthür: „Dann schicken wir aber ganz schnell das Ordnungsamt vorbei.“