Witten. Das öffentliche Leben kehrt nach dem Corona-Lockdown zurück. Viele freut das. Doch einer Vorerkrankten machen die neuen Freiheiten Angst.
Das Leben kehrt zurück in Wittens Innenstadt. Nach Wochen des Corona-Lockdowns öffnen neben Geschäften nun auch Cafés und Restaurants, Friseure und sogar Fitnessstudios. Die meisten Menschen freuen sich über die Lockerungen, davon zeugen größere Gruppen in den Parks und kleinere Abstände. Hier schreibt eine Risikopatientin, wie sie die Lockerungen erlebt. Sie möchte anonym bleiben, daher verzichten wir auf Nennung des Namens. Die Autorin ist der Redaktion bekannt.
Die letzten Wochen waren für mich ein Wechselbad der Gefühle. Mal hat sich die Bedrohung durch das Corona-Virus ganz nah und unmittelbar angefühlt, mal ziemlich weit weg. Vor allem aber war und ist diese Zeit für mich geprägt von Unsicherheit.
Ich bin Asthmatikerin, zähle also zur Risikogruppe. Auch wenn ich mit meinen 37 Jahren nicht in das verbreitete Stereotyp der „Alten und Kranken“ passe, für die das Virus gefährlich werden kann. Obwohl generell fit, reicht bei mir schon ein normales Virus aus, um mich an den Rand einer Lungenentzündung zu bringen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was das Corona-Virus bei mir anrichten würde.
Auch junge Menschen zählen zur Risikogruppe
All zu oft gerät diese Perspektive in den derzeitigen Debatten aus dem Fokus. Nämlich die Tatsache, dass eben auch junge Menschen Vorerkrankungen haben können, die es sehr viel wahrscheinlicher machen, dass eine Infektion mit dem Corona-Virus bei uns einen schweren Verlauf nehmen wird.
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Wie gefährlich ist dieses Virus, über das wir immer noch nicht allzu viel wissen, für mich? Das ist die große Frage, die ich mir zur Zeit bei fast jeder Entscheidung neu stelle. Kann ich es wagen, mich - nach Wochen der Isolation, in denen ich nur mein Kind und meinen Partner gesehen habe - im Freien und mit Abstand mit einer Freundin zu treffen? Gehe ich selbst einkaufen, wenn niemand da ist, um das für mich zu erledigen? Übertreibe ich mit meiner Vorsicht? Oder bin ich vielleicht sogar zu nachlässig und riskiere schlimmstenfalls mein Leben?
Senioren sind in Altenheimem isoliert - und junge Risikopatienten?
Die hochgefährdeten Menschen in den Altenheimen sind von der Welt abgeschottet und können jetzt nur unter strengsten Hygienevorschriften besucht werden. Der Virologe Alexander Kekulé hatte in der Lockerungsdebatte dafür plädiert, dass, wenn die meisten Menschen wieder ein mehr oder weniger normales Leben führen, sich Altenheime in eine Art „Fort Knox“, ein Hochsicherheitsgefängnis, verwandeln müssten, um das Virus auszusperren. Ich habe all die Öffnungsdebatten verfolgt. Wo ist mein Fort Knox? Wohin ziehe ich mich zurück, um mich zu schützen?
Diese Risikogruppen gibt es bei Corona
Risikopatienten haben mit höherer Wahrscheinlichkeit einen schweren Verlauf bei einer Corona-Infektion. Laut Robert-Koch-Institut zählen zur Risikogruppe ältere Personen (ab 50–60 Jahren), Raucher, stark adipöse Menschen und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen.
Zu den relevanten Vorerkrankungen zählen chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems (z. B. koronare Herzerkrankung und Bluthochdruck), der Lunge (z. B. Asthma, COPD), der Leber, aber auch Patienten mit Diabetes, Krebs oder mit geschwächtem Immunsystem. In Deutschland gibt es rund acht Millionen Asthmatiker.
Lange Zeit hatte ich meine Hoffnungen darauf gesetzt, dass die Lockerungen erst kommen, wenn es die Corona-App gibt. Mit ihr könnten Kontaktpersonen von Infizierten sehr viel schneller informiert werden als bislang. So hätte man sich meiner Meinung nach wieder relativ sicher „draußen“ bewegen können. Doch nun sind die meisten Beschränkungen aufgehoben, die App allerdings ist immer noch in weiter Ferne.
Nur das Vermeiden einer Infektion schützt wirklich
Ich habe das Glück im Homeoffice arbeiten zu können. Doch Kontakt zur Welt um mich herum, in der sich das Corona-Virus nun womöglich wieder schneller ausbreitet, ist unvermeidbar. Allein schon meines Kindes wegen. In die Kita schicke ich es nicht, auch wenn ich Anspruch auf Notbetreuung habe. Doch ganz ohne Bewegung an der frischen Luft geht es nicht.
Und seit den Lockerungen merke ich, wie die Menschen immer weniger Abstand voneinander halten - egal ob im Park, im Wald oder im Supermarkt. Viele haben den Respekt vor dem Virus verloren, so scheint es. Ja, wir sind bislang mehr als glimpflich davon gekommen im Vergleich zu anderen Ländern. Unser Gesundheitssystem war nie überlastet - und wird es hoffentlich auch nie sein. Das ist für mich aber gar nicht die entscheidende Frage. Denn auch ein freies Beatmungsgerät wird mich und andere im Zweifelsfall nicht retten - sondern nur das konsequente Vermeiden einer Infektion.
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