Witten. Autoarme City, Entsiegelung von Gewerbeflächen, Start-up-Center für die Kreativwirtschaft: So sieht das Wahlprogramm der Grünen in Witten aus.

Im langsam wachsenden Getöse der Kandidaten vor der Kommunalwahl am 13. September verhält sich eine Partei etwas ruhiger: Die Wittener Grünen setzen nach eigenen Worten auf Qualität statt Quantität. Sie wollen mit Sachthemen überzeugen. Dazu haben sie ein 44-seitiges Wahlprogramm aufgestellt, einen Bürgermeisterkandidaten jedoch nicht.

Aus Sicht der Wittener Grünen ist die Ratsarbeit für die Gestaltung der politischen Zukunft in Witten entscheidend. Deswegen haben sie viel Arbeit in ihr Programm gesteckt, das nun vorliegt: online unter gruene-witten.de, in gedruckter Form (auch in leichter Sprache) im Grünen Büro, Bergerstraße 38. Auf Radtouren, Spaziergängen, an Infoständen und über digitale Kanäle wollen sie es den Wittenern vorstellen. „Eine Balance aus Vision und Pragmatismus. Alle unsere Wünsche sind auch realisierbar“, beschreibt es Jan Richter, der sich auf Listenplatz zwei der Grünen für eine Ratsmitgliedschaft bewirbt. Eine Themenauswahl:

Klima und Umwelt

Die Flächenversiegelung soll gestoppt werden, um besser für extreme Wetterereignisse gewappnet zu sein. Der Pferdebach, bislang ein meist verrohrtes Gewässer, würde reaktiviert. Die Grünen möchten bürgerschaftliches Engagement zugunsten der Natur fördern – wie den Bau privater Solaranlagen, Dachbegrünung, Gemeinschaftsgärten oder Streuobstwiesen. Sichere Wildnisspielplätze für Kinder sollen errichtet, der Hammerteich erhalten werden. „Für eine Baumpflanzung oder das Anlegen einer insektenfreundlichen Wiese könnten Bürger Entwässerungsgebühren sparen“, nennt Christian Walker (31) ein Anreiz-Modell.

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Große Asphaltflächen sollen entsiegelt werden. Nimmt man zum Beispiel den Platz an der Gedächtniskirche, hieße das: Er würde anders gepflastert und begrünt, wobei auch Parkplätze zurückgebaut werden. Öffentliche Gebäude sollen energetisch gedämmt werden. Für Neubauten wie Schulen werden ökologische Baustoffe genutzt - die Uni Witten macht es mit ihrem Holzneubau vor.

Verkehrswende

Die Grünen fordern den Umstieg zu einer autoarmen Innenstadt: Rad- und Gehwege sollen ausgebaut, der ÖPNV gestärkt werden. Die Umsetzung des Radverkehrskonzepts soll deutlich beschleunigt werden – dazu genüge in vielen Fällen „ein Eimer Farbe“. Im Prinzip soll es einen Innenstadtring für Radfahrer geben und sternenförmig eine Achse in jeden Stadtteil. Die Fahrplanumstellung des Kreises von Ende 2019 soll überarbeitet werden, die Frequenz in den Außenbereichen könne man durch Kleinbusse erhöhen. Und: Ein Jahresticket für den ÖPNV soll 365 Euro kosten.

Wirtschaft

In der derzeitigen Coronakrise sehe man, wie gefährlich ein einseitiger Branchenmix sei - in Witten gebe es einen starken Überhang zum produzierenden Gewerbe, etwa Automobilzulieferer. Krisenfester werde Witten durch die Ansiedlung innovativer Unternehmen aus den Bereichen IT, Mobilität oder Kreativwirtschaft. Die ehemalige Feuerwache an der Hauptstraße zu einem Start-up-Center aufbauen – solche Ideen gefallen den Grünen. Eine zentrale digitale Plattform für den Einzelhandel (Bestellung online, Abholung am nächsten Tag vor Ort) soll eingerichtet werden.

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In der Verwaltung können Stellen abgebaut werden, wenn Behördenkontakte digital organisiert werden. Politik könne auch bei sich selbst sparen: Fraktionszuwendungen kürzen, im Rathaus können sich Parteien und Verwaltung Besprechungsräume teilen.

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Die Grünen hoffen weiter auf eine Altschuldentilgung für krisengebeutelte Kommunen. Spitzenkandidatin Birgit Legel-Wood: „Wittens strukturelles Schuldenproblem kann nicht anders gelöst werden.“

Einen langwierigen Leerstand des Kaufhof-Warenhauses möchten die Grünen verhindern. Ihre Idee: eine kombinierte Nutzung von Verwaltung und Universität, Flächen für die Digitalwirtschaft und eine kleine Markthalle – für regionale Vermarkter – im Erdgeschoss.

Bürgermeisterkandidaten

Die Grünen gehen ohne eigenen Bürgermeisterkandidaten in die Kommunalwahl – weil ihnen ein geeigneter Kandidat fehle. „Wir nehmen die Rolle eines Bürgermeisters sehr ernst, wahrscheinlich mehr als andere Kandidaten“, so Jan Richter. Schließlich sei man damit auch Geschäftsführer der 1000-köpfigen Verwaltung. Zwar habe man Parteimitglieder, die das „menschlich, fachlich, inhaltlich könnten. Aber jeder überlegt sich doch: Passt dies zu meiner Familienplanung, zu meiner beruflichen Rolle, was mute ich damit meiner Familie zu?“ Bei der nächsten Wahl könne dies komplett anders sein.

In den Vorjahren hatten die Grünen SPD-Bürgermeisterin Sonja Leidemann unterstützt. „Das haben wir diskutiert, aber dieses Jahr hat uns das nicht überzeugt“, so Jan Dickerboom, Geschäftsführer des Parteibüros. Gäbe es eine Stichwahl, würde man dies neu diskutieren. „So lange bleiben wir neutral“, so Birgit Legel-Wood. Wichtiger als einen Posten zu besetzen sei es, als starke Ratsfraktion grüne Politik zu machen. Bislang stellen die Grünen neun der 72 Ratsmitglieder – diesmal möchte die Fraktion zweistellig werden.