Witten. Witten ist noch weit davon entfernt, Münster den Rang als Fahrradmetropole streitig zu machen. Aber es bewegt sich doch was, auch wegen Corona.

Wie wirkt sich Corona auf die Mobilität, den Verkehr in Witten aus? Nun, an die leeren Straßen während des Lockdowns kann man sich noch gut erinnern. Mehr Menschen waren und sind zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Fahrradbotschafter Andreas Müller geht davon aus, dass der Autoverkehr langfristig abnimmt. Und die Innenstadt spätestens in zehn Jahren sogar vom (Pkw-) Durchgangsverkehr befreit sein wird. Auch Planungen müssten überdacht werden, etwa für den Umbau der Kreuzung am Ruhrdeich. Würden hier vielleicht zwei Spuren für Radfahrer und Fußgänger genügen?

Fahrradhändler aus Witten: Ende des Booms nicht absehbar

Nun ist der 67-Jährige natürlich ein Fahrradfan erster Güte. Aber er ist nicht der Einzige, der der Pedalo-Branche eine steile Zukunft voraussagt, selbst in Witten, wo Autofahrern immer noch mehrheitlich die Straße gehört. Thorsten Ebenfeld von „Ebbi’s Fahrradservice“ kann sich noch gut an den ersten Tag nach dem Shutdown erinnern, als er seinen Laden wieder öffnen durfte.

„Das war der 27. April. Als hätte da jemand den Schalter umgelegt.“ Die Kunden kamen und kauften, neue Räder, E-Bikes… „Da haben auch Leute das Fahrrad für sich wiederentdeckt, die lange nicht mehr gefahren sind“, sagt der 45-Jährige. Er bringt es auf den Punkt: „Es boomt.“ Und ein Ende sei nicht absehbar.

Weniger pendeln wegen Homeoffice und Kurzarbeit

Gerade fuhr der Spezialist für Elektroräder mit dem Lieferauto nach Bommern, unterwegs seien ihm acht Radfahrer mit E-Bikes begegnet, sagt Ebenfeld. Auf eine Neuanschaffung müssen die Kunden bis zu drei Monaten warten. Selbst bei Ersatzteilen gibt es Lieferengpässe.

Umgekehrt sitzen deutlich weniger Fahrgäste in Bussen und Bahnen – etwa die Hälfte im Vergleich zu Nicht-Corona-Zeiten. Allein die Bogestra erwartet bis zum Jahresende Einnahmeverluste von 40 Millionen Euro. Fahrradbotschafter Andreas Müller fordert bessere Takte im Regionalverkehr, etwa Züge alle 15 Minuten Richtung Bochum, um die Attraktivität des ÖPNV zu steigern.

Wegen Corona fahren mehr Menschen wieder Auto. Die Fahrgastzahlen bei Bus und Bahn haben sich noch längst nicht normalisiert.
Wegen Corona fahren mehr Menschen wieder Auto. Die Fahrgastzahlen bei Bus und Bahn haben sich noch längst nicht normalisiert. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Dass weniger pendeln, hat auch mit Homeoffice und Kurzarbeit zu tun. Gleichzeitig steigen wieder mehr ins Auto, weil sie Angst haben, sich anzustecken. Bei klimafreundlichen Elektroautos ist ebenso wie beim Fahrrad noch viel Luft nach oben.

Auf gerade mal sechs Prozent wird der Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr geschätzt. Noch ernüchternder sind die Zahlen bei den Elektroautos. Nach Angaben der Stadtwerke gibt es (Stand Juni) 184 in der Stadt – bei 65.000 Fahrzeugen insgesamt.

Deutlich mehr Kunden fragten in der Corona-Zeit nach der Lade-Infrastruktur, sagt der Experte für Elektromobilität bei den Stadtwerken, Sören Smietana. An den 22 öffentlichen Säulen registriert er monatlich 700 Ladevorgänge. Bundesweit werde bis 2030 mit sieben bis zehn Millionen Elektrofahrzeugen gerechnet, einem Anteil von zehn bis 18 Prozent. Rechne man das auf Witten herunter, „würde das schon deutlich was ausmachen“, so der 32-Jährige.

Fahrradbotschafter aus Witten: Anteil der Radler auf 25 Prozent steigern

Wie viele E-Bikes im Stadtgebiet unterwegs sind, lässt sich nicht ermitteln. Fahrradbotschafter Andreas Müller ist aber zuversichtlich, den Anteil der Radfahrer insgesamt bis 2030 wie landesweit geplant auf 25 Prozent steigern zu können – „wenn die Stadt das will“. Dafür müssten reine Spiel- und Fahrradstraßen in der Innenstadt entstehen, flächendeckend für die City Tempo 30 eingeführt und Fahrradwege auch ohne große Umbauten geschaffen werden.

Mit dem Fahrrad zum Bahnhof in Witten: Allerdings fehlen dort trotz neuer Bügel immer noch sichere Abstellplätze.
Mit dem Fahrrad zum Bahnhof in Witten: Allerdings fehlen dort trotz neuer Bügel immer noch sichere Abstellplätze. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Als Beispiel nennt Müller die vom Autoverkehr geprägte Ardeystraße. „Hier müsste man zehn angefangene Radstreifen nur zusammenführen.“ Er fordert mehr Tempo bei der Umsetzung des Radkonzeptes. Aber, und hier entschuldigt der frühere städtische Verkehrsplaner seine Ex-Kollegen, „Corona frisst eben viele Kapazitäten“.