Witten. Er hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt und ist mit 76 Chef von über 1850 Mitarbeitern. Jetzt will Jürgen Gülich seine Nachfolge regeln.

Alles begann in der Kaiserzeit. 1910 ließ sich Heinrich Führer mit seinen sechs Angestellten aus einem ganz besonderen Anlass ablichten. Der Wittener hatte das „Fenster-Reinigungs-Institut Germania“ gegründet und wollte dieses Ereignis fotografisch festhalten lassen. Was Führer nicht ahnen konnte: 110 Jahre später ist sein Enkel, Jürgen Gülich, Chef des Familienunternehmens in dritter Generation, heute eine Firmengruppe mit über 1850 Mitarbeitern, die Witten treu geblieben ist.

Das „Institut Germania“ von der Ruhrstraße reinigte einst mit langen Leitern Fenster und Hausfassaden. Seit 35 Jahren findet man den Unternehmenssitz der heutigen Gülich-Gruppe in Stockum am Borgäcker 1. Weitere Standorte sind Hagen und Hövelhof (Kreis Paderborn). Gülich bietet nicht nur Reinigungsdienste an, sondern a uch Sicherheitstechnik für Gebäude sowie Sicherheitspersonal. Außerdem werden vom Unternehmen Bürokomplexe, Industrieanlagen und auch öffentliche Gebäude betreut.

35 Millionen Euro Umsatz machte die Gülich-Gruppe aus Witten im vergangenen Jahr

Eine unternehmerische Erfolgsgeschichte. Zu den großen Kunden zählen die Ardex-Gruppe, die Westfallenhallen Dortmund, die Stadtwerke Witten und Bochum, die Düsseldorfer Rheinbahn, das Dortmunder Konzerthaus, die Bochumer Hochschule, die Einrichtungshäuser Ostermann – um nur einige zu nennen. 35 Millionen Euro Umsatz machte die Gülich-Gruppe im vergangenen Jahr. Für dieses Jahr rechnet Jürgen Gülich „mit nur geringfügigen Einbußen“. Zwar habe die Corona-Lage Aufträge gekostet, aber dies habe man an anderer Stelle abfedern können. „Der Bereich Sicherheit boomt in Corona-Zeiten, auch Desinfektionsarbeiten.“ Derzeit sind noch zehn Prozent der Gülich-Mitarbeiter in Kurzarbeit.

Das Foto von 1910 zeigt Firmengründer Heinrich Führer (li.) mit sechs Mitarbeitern und langen Leitern, die diese zum Fensterputzen benötigten. Das vor 110 Jahren gegründete Unternehmen, das man an der Wittener Ruhrstraße fand, nannte sich „Fenster-Reinigungs-Institut Germania“.
Das Foto von 1910 zeigt Firmengründer Heinrich Führer (li.) mit sechs Mitarbeitern und langen Leitern, die diese zum Fensterputzen benötigten. Das vor 110 Jahren gegründete Unternehmen, das man an der Wittener Ruhrstraße fand, nannte sich „Fenster-Reinigungs-Institut Germania“. © FUNKE Foto Services | Fotoquelle: Gülich-Gruppe, Repro: Christof Köpsel

Der gelernte Gebäudereinigermeister machte seine Ausbildung im Familienbetrieb und wurde hierbei von seinen Eltern, Otto Gülich und dessen Frau Margareta, die Tochter des Firmengründers Heinrich Führer, nicht geschont. „Ich habe keine akademische Ausbildung, habe alles von der Pike auf gelernt und bei unseren Kunden auch die Toiletten geputzt“, erzählt Jürgen Gülich, der 1982 den elterlichen Betrieb übernahm.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs habe die Firma gerade einmal eine Hand voll Leute beschäftigt. In den 50er Jahren habe sie das dann stark von der Wirtschaftswunderzeit profitiert, so Gülich. „Es wurde gebaut, Büroräume, Kantinen und Werkstätten mussten gesäubert werden.“ Lager und Verwaltung der Firma waren damals noch in der Nähe des Wittener Hauptbahnhofs – in der Berger- und der Lessingstraße.

Gülichs Sohn ist Berufspilot in Wien

Die Gülich-Gruppe ist weiter auf Wachstumskurs. In den vergangenen Jahrzehnten wuchs das Unternehmen auch durch den Kauf anderer Firmen. Gülich setzt außerdem auf die eigene Ausbildung und beschäftigt derzeit 16 Azubis. „Wir suchen weitere junge Leute“, sagt der Chef. Er ist stolz darauf, viele langjährige Mitarbeiter zu haben.

Firmengründer starb bei Luftangriff

Firmengründer Heinrich Führer hatte eine Tochter, Margareta, die sich in den Volkswirt Otto Gülich verliebte. Sie wurden ein Ehepaar und die Eltern des heutigen Firmenchefs Jürgen Gülich. Otto Gülich stieg in die Firma des Schwiegervaters ein. Seit 1934 hieß das Gebäudereinigungsunternehmen daher „Führer & Gülich“.

Otto Gülich war im Zweiten Weltkrieg Soldat und mehrere Jahre in norwegischer Kriegsgefangenschaft. Eine Zeit, in der sich seine Frau Margareta um das Unternehmen kümmerte, das sie mit ihrem Mann zusammen führte. Firmengründer Heinrich Führer kam im November 1944 bei einem Luftangriff auf Witten zu Tode. Er hatte versucht, während des Bombardements ein Kind zu retten.

Der Wittener Unternehmer ist 76 Jahre alt. Zeit, an einen Nachfolger zu denken? Jürgen Gülich spricht von seinem Sohn Carlos Daniel. Der 27-Jährige arbeitet für die Fluggesellschaft Eurowings in Wien. Die Hoffnung, dass der leidenschaftliche Pilot doch noch einmal den Weg ins Familienunternehmen findet, hat der Vater noch nicht aufgegeben. Was dem Senior aber wichtig ist: „Er soll sich nicht verpflichtet fühlen, man kann niemanden zwingen.“ Denn so etwas funktioniere nicht. Das hat Gülich bei anderen Unternehmen gesehen.

Unternehmer aus Witten: „Zum Jahresende soll der Wechsel vollzogen sein“

Seit 35 Jahren hat die Gülich-Gruppe ihren Hauptsitz in Witten-Stockum am Borgäcker 1. Weitere Firmenstandorte sind Hagen und Hövelhof (Kreis Paderborn).
Seit 35 Jahren hat die Gülich-Gruppe ihren Hauptsitz in Witten-Stockum am Borgäcker 1. Weitere Firmenstandorte sind Hagen und Hövelhof (Kreis Paderborn). © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Gülich hatte für seine Firmen-Gruppe schon einmal einen Manager eingestellt, der das Tagesgeschäft übernahm. „Aber es entstand kein Vertrauensverhältnis zwischen uns. Daher haben wir uns wieder getrennt.“ Jetzt hat er einen externen Nachfolger gefunden, den er schon viele Jahre kennt. Dieser soll in ein paar Monaten das Ruder übernehmen. „Zum Jahresende soll der Wechsel vollzogen sein. Er wird dann der Chefs der Chefs. Denn jede meiner fünf Firmen hat schon einen eigenen Geschäftsführer.“

Der Unternehmer, der privat in Bommern lebt, möchte sich endlich in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Denn viel Zeit für sich hat er in seinem Leben nicht gehabt. Wird es ihm ohne die Firma nicht langweilig werden?

Jürgen Gülich schüttelt den Kopf. „Ich werde ein- bis zweimal wöchentlich in die Firma gehen, aber nicht mehr in das Tagesgeschäft eingreifen. Ich möchte das Kochen lernen, habe einen Garten mit einem Teich – und ich möchte reisen.“ Urlaub hatte der 76-Jährige bislang „nur 10 bis 15 Tage im Jahr - aber nicht in jedem“.