Witten. Wirtschaftsförderung mal anders: Eine junge Frau soll in Witten lokale Initiativen vernetzen – nicht nur, um in der Krise unabhängiger zu sein.

Nachhaltigkeit bekommt einen neuen Stellenwert in der Stadt Witten. Denn nun gibt es eine junge Frau, die alle Fäden in der Hand halten soll. Karin Kudla heißt sie. Ihr Arbeitsgebiet ist offiziell die so genannte Wirtschaftsförderung 4.0. Das heißt: Tauschbörsen, Repaircafés, Hofläden, Sozialkaufhäuser, die Klimaallianz – all diese Initiativen nimmt sie in den Blick, berät, vernetzt und fördert, wo sie nur kann.

Karin Kudla, die Frau für die neue Wirtschaftsförderung 4.0, mit Wittener Produkten.
Karin Kudla, die Frau für die neue Wirtschaftsförderung 4.0, mit Wittener Produkten. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Wer meint, das Thema Nachhaltigkeit ginge ihn nichts an oder sei langweiliger Kram, der wird nach einem Gespräch mit der 27-Jährigen eines Besseren belehrt. Denn Karin Kudla brennt für ihre Umwelt und für gesunde Ernährung sowieso. Zum Pressegespräch hat sie zwei Körbe mit Produkten dabei, die tatsächlich alle in Witten produziert werden: Den Salat haben Mitarbeiter von „WirGemüse“ noch morgens frisch am Vöckenberg in Stockum gepflückt. Der Kaffee wurde in Witten geröstet. Der Honig stammt von heimischen Bienen. Das Kuscheltier besteht aus Schafwolle vom Naturhof in den Hölzern. Und so könnte die Aufzählung weitergehen.

„Für mich ist Witten eine Stadt des Engagements“

Sie sei selbst überrascht gewesen, was es alles schon gibt in Witten, sagt Karin Kudla. Sie stammt aus Mönchengladbach und hat ihren Master in Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Uni gemacht. Thema: „Klimaschutz in der Landwirtschaft“. Erste Kontakte nach Witten führten zum Unikat-Club – auch dies eine muntere Runde kreativer Studenten. „Für mich ist das hier eine Stadt des Engagements“, sagt Kudla. Dem will sie noch mehr auf die Sprünge helfen – und damit zum Beispiel die untere Bahnhofstraße beleben.

Gerade entstand die Idee, einen Pop-Up-Store in einem leerstehenden Ladenlokal einzurichten, also ein Geschäft auf Zeit. Regionale Produkte könnten dort angeboten werden. Bürgermeisterin Sonja Leidemann fällt spontan ein, man könne auch regelmäßig einen Feierabendmarkt mit jenen Dingen veranstalten, etwa auf dem Berliner Platz. „Hier schlummert viel Potenzial“, sagt Karin Kudla. So mancher mit guten Ideen scheue nur die bürokratischen Hürden. Die Menschen da durchzulotsen, auch dazu ist die Neue da. Oder sie vermittelt an die richtigen Stellen. Zur Seite steht ihr dabei Anja Reinken, die Chefin der klassischen Wirtschaftsförderung.

„Die Hälfte aller in Witten geleisteten Arbeit wird nicht bezahlt“

„Diese betrachtet in der Regel nur Unternehmen“, sagt Michael Kopatz vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie. Dabei werde die Hälfte aller in Witten geleisteten Arbeit nicht bezahlt. Kopatz hat mit der Bürgermeisterin das Projekt in die Ruhrstadt geholt. In der Corona-Krise könne es seine Sternstunde erleben. Denn gerade zeige sich, was wirklich funktioniert, wenn’s wirtschaftlich mal schlecht läuft: solidarisches Miteinander. Nur ein Beispiel: Als die Friseure noch nicht öffnen durften, hat Gerda dem Hans ausnahmsweise die Haare geschnitten, der hat dafür ihren Tisch repariert.

Interessenten bitte melden

Die „Wirtschaftsförderung 4.0“ startete 2018 als Modellprojekt in Osnabrück. Nach Wuppertal und dem nordhessischen Witzenhausen ist Witten nun die vierte Stadt, die mitmacht. Karin Kudlas Stelle ist zunächst auf zwei Jahre befristet. Sie wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Interessenten, die sich mit ihren Initiativen oder Produkten einbringen möchten, können sich bei Karin Kudla melden: 581-6267 oder karin.kudla@stadt-witten.de. Auch für den Pop-up-Store werden noch Anbieter aus den Bereichen Feinkost, Naturkosmetik oder Handwerk gesucht.

Kopatz will mit seiner Idee der Wirtschaftsförderung 4.0 weg von der „Wir haben uns alle lieb“-Stimmung. „Professionalisierung ohne Kommerzialisierung“ lautet sein Motto. Man müsse die Rendite in der Region binden, auch um in Krisenzeiten unabhängiger zu sein. Noch ein Beispiel: Viele Pizzerien zahlen Gebühren für einen überregionalen Lieferdienst – das Geld könne laut Kopatz mit neuen Ideen genauso gut in der Stadt bleiben.

Doch erst einmal verschafft Karin Kudla, die seit Anfang April unter erschwerten Corona-Bedingungen an den Start gegangen ist, sich einen Überblick. Das, was es schon in Witten gibt, soll digital gelistet werden. Und dann steigt sie so richtig ein in ihr Herzensanliegen: Den Menschen klarzumachen, was alles geht, damit sie sich in ihrer Stadt wohlfühlen und deren regionale Angebote zu schätzen lernen.

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