Reinhard Glowka, Leiter der Wittener Polizeiwache, geht in den Ruhestand. Im Abschiedsinterview spricht er auch über Problem-Jugendliche.
Nach 45 Arbeitsjahren in den Ruhestand. In den letzten Tagen ist Reinhard Glowka dann doch noch ein wenig unruhig, wenn er an das Ende seines langen Polizistenlebens denkt. „Es gibt vorher noch so viel zu erledigen.“ Seit sechs Jahren leitet der 62-Jährige Wittens Polizeiwache und ist damit Chef eines 100-köpfigen Teams. Zum 1. Juli wird der Bochumer Andreas Schwarz neuer Wachleiter in Witten. Im Abschiedsinterview mit unserer Redaktion spricht Reinhard Glowka über jugendliche Randalierer in der City, die Anforderungen des Polizistenlebens und das Bogenschießen.
Herr Glowka, angesichts der jüngsten Ereignisse in der Innenstadt, auch der Randale auf dem Rathausplatz am vergangenen Mittwochabend, haben sie Verstärkung durch Bereitschaftspolizisten bekommen.
Glowka: Ja. Das Polizeipräsidium Bochum, zu dem die Wittener Wache gehört, hat die Kollegen beim Land angefordert. Das Problem, das wir in Witten haben, wurde sehr deutlich gemacht. Die Beamten der Bereitschaftspolizei, die sonst für viele andere Aufgaben im Land eingesetzt werden - unter anderem bei Fußballspielen - waren verfügbar. Wir haben so bis zu 20 zusätzliche Kollegen pro Einsatztag. Wir hoffen, dass wir sie auch zukünftig immer einmal wieder bekommen werden.
Auch dank der personellen Verstärkung sind Polizei und Ordnungsamt seit Mai häufig an kritischen Stellen in der City zu sehen. Das ist nicht nur der Rathausplatz, sondern auch der Platz an der Johanniskirche, der Kornmarkt und der Lutherpark.
So ist es. Wir sind aber auch am Kahlen Plack, weil wir wissen, dass sich auch dort jugendliche Randalierer treffen. Im Wald fällt das nicht so auf, aber bei Zerstörungen an der Herdecker Straße. Dort sind einmal bis zu zehn Autos demoliert worden – und da ging es nicht nur um kaputte Seitenspiegel.
Könnte Wittens Polizei grundsätzlich mehr Personal gebrauchen?
Für jeden Beamten, der zusätzlich nach Witten käme, wäre genug Arbeit da. Ich hoffe, dass die hohen Einstellungszahlen der letzten Jahre bei der Polizei dazu führen, dass wird hier mittelfristig mehr Personal bekommen.
Warum haben viele Bürger das Gefühl, dass die Einsätze von Ordnungsamt und Polizei im Johannisviertel und auf dem Rathausplatz oft doch nicht zu Erfolgen führen?
Wir haben für Jugendliche kaum polizeiliche Maßnahmen, die diese beeindrucken. Zum Beispiel dürfen wir sie nur unter ganz engen Voraussetzungen in Gewahrsam nehmen. Eine Stunde in einer Zelle würde manchen vielleicht einmal zum Nachdenken bringen. Und unter 14-Jährige sind noch nicht strafmündig, da setzt man auf Erziehung, nicht auf Strafe. Das ist auch richtig so, aber manchmal wäre eine kleine Strafe angebracht.
Warum sind Sie Polizist geworden? Das war doch nie eine einfache Aufgabe.
Nach der Mittleren Reife an der Adolf-Reichwein-Realschule habe ich mich mit einem sehr rührigen Einstellungsberater der Polizei unterhalten. Er hat mir die Vorzüge und Entwicklungsmöglichkeiten in diesem Beruf aufzeigt. (lacht) Ich fand es als junger Mann klasse, als Polizeibeamter für Recht und Ordnung zu sorgen. Dass dieser Beruf so komplex und schwer ist, davon hatte ich keine Ahnung. Auch davon nicht, wie sich ein Wechseldienst auf die Gesundheit und das eigene soziale Leben auswirkt. Ich habe meine Freunde in meinen ersten Berufsjahren vernachlässigt.
Würden Sie jungen Leuten empfehlen, Polizist zu werden?
Ein Bochumer wird der neue Chef der Polizeiwache Witten
Andreas Schwarz wird am 1. Juli der neue Chef der Wittener Polizeiwache. Der 56-jährige Bochumer ist verheiratet und hat vier Kinder und zwei Enkelkinder. Von 1993 bis 1996 war er bei der Düsseldorfer Kripo, von 1996 bis 2011 bei der Kriminalpolizei in Bochum beschäftigt.
Von 2012 bis 2016 war Andreas Schwarz Dienstgruppenleiter der Polizeiwache Wattenscheid und zuletzt Dienstgruppenleiter bei der Einsatzleitstelle des Bochumer Polizeipräsidiums. Die Stadt Witten ist für den 56-Jährigen Neuland.
Wenn man Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen möchte, dann ist der Polizeiberuf dafür prädestiniert. Wenn ich mir die jungen Männer und Frauen bei der Polizei heute angucke, sind die alle taff. Aber sie werden auch mit viel Stress und Leid konfrontiert. Ich hatte Kollegen, die damit nicht umgehen konnten und deshalb andere berufliche Wege eingeschlagen haben. Ich habe es nie bereut, Polizist geworden zu sein.
Wieviele Einsätze hatte Ihr Team im vergangenen Jahr zu bewältigen?
Rund 23.300. Die Wittener Wache hat seit Jahren die zweithöchste Einsatzbelastung der acht Wachen, die zum Bochumer Polizeipräsidium gehören – nach der Wache Bochum-Mitte.
Was hat die Wittener Polizei 2019 am meisten beschäftigt?
Es gab allein rund 3500 Verkehrsunfälle, außerdem über 1500 Fälle von Straßenkriminalität. Unter Straßenkriminalität fallen unter anderem Körperverletzungen, Diebstähle, Raub und Sachbeschädigungen. Einen starken Rückgang hat es im Bereich Wohnungseinbruchs-Diebstähle gegeben. Da hatten wir 2019 133 Fälle, 2017 waren es noch knapp über 300. Derzeit machen uns, wie schon geschildert, die Vorkommnisse auf dem Rathausplatz und in dessen Umgebung Sorgen.
Es gibt Wittener, die der Ansicht sind, es müssten dort Streetworker zum Einsatz kommen.
Es gibt sicherlich Problem-Jugendliche, die man mit Streetworkern einfangen könnte. Aber wer nicht ansprechbar ist, mit dem kann man sich nicht unterhalten. Diese Erfahrung machen wir auf dem Rathausplatz, auf dem Kornmarkt, an der Johanniskirche und im Lutherpark. Und auf das, was die Jugendlichen tun, folgen in der Regel keine rechtlichen Konsequenzen. Das scheitert derzeit auch an den gesetzlichen Möglichkeiten, die wir haben.
In den genannten Bereichen sind viele junge Leute mit Migrationshintergrund unterwegs.
Ja. Da trifft man auch oft auf ein ausgeprägtes Macho-Gehabe. Es gibt viele Menschen mit Migrationshintergrund, die versuchen, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren, die sich Arbeit suchen. Ich möchte da nicht falsch verstanden werden. Jugendliche, die auffällig sind, stehen ja zum Teil unter Betreuung, sind dem Jugendamt bekannt. Das alles ist nicht nur eine Sache der Polizei, sondern da gibt es eine gesellschaftliche Verantwortung. Es müsste auch die Möglichkeit geben, dass auf Fehlverhalten eine Strafe auf dem Fuße folgt. Es müsste eine bessere Verzahnung zwischen Ordnungsamt, Polizei und Gerichten geben.
Gibt es ein Ereignis in Ihrem Berufsleben, das Sie nie vergessen werden?
Ja, darunter den Pfingstsamstag 2005. Damals hat ein Vater seine Tochter in der Johannisstraße erstochen. Der geschiedene Mann hatte drei Töchter zu Besuch, auf die er einstach. Eines der Mädchen hatte die Polizei angerufen. Wir konnten erst nicht herausfinden, woher sie anrief, das war dann durch eine Handyortung möglich. An diesem Einsatz war ich nicht beteiligt, aber er hat mich sehr beschäftigt. So etwas tut einem in der Seele weh.
Der 30. Juni ist Ihr letzter Arbeitstag. Was dann, Herr Glowka? Haben Sie ein Hobby?
Das Bogenschießen! Das mache ich gerne mit anderen zusammen im Wald - auf einem eigens dafür eingerichteten Parcours - zum Beispiel im Sauerland. Man läuft dabei mehrere Kilometer durch die Natur. Das ist sehr schön, das macht Spaß. Und ich bin Hobby-Tischler! Mein Bruder ist Tischler-Meister und gibt mir schon einmal Tipps. Außerdem habe ich drei Kinder und drei Enkelkinder. Die sollen auch was von ihrem Opa haben. Für den Ruhestand habe ich mir generell vorgenommen, meine Gesundheit und Fitness zu erhalten. (lacht) Denn ich möchte dem Staat noch lange auf der Tasche liegen.