Witten. Nördlich der Firma Sico wurde PCB in Löwenzahnproben gefunden. Betroffen sind vor allem Schrebergärtner im Bereich der Brauckstraße.
Die Nutzer der Schrebergärten entlang der Bahntrasse im Bereich Brauckstraße im Witten sollten ab sofort vorsorglich auf den Verzehr von selbst angebautem Obst und Gemüse verzichten. Denn dort wurde PCB in Löwenzahnproben gefunden. Dies teilt der Ennepe-Ruhr-Kreis mit. Die Untersuchung sollte klären, ob es im Umfeld des Silikonverarbeiters Sico erhöhte Werte gibt. Dabei gibt es eine überraschende Erkenntnis.
Das Landesministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat das Löwenzahn-Screening Mitte März durchgeführt. Positiv ist die Botschaft für die Bereiche Kreisstraße 53 und Brunebeckerstraße 8, an denen zwei Kindertagesstätten liegen. Hier wurden keine PCB-Werte festgestellt, die über den NRW-weit üblichen so genannten Hintergrundwerten liegen.
An drei der fünf Messpunkte in Witten wurde PCB festgestellt
Doch an drei der insgesamt fünf Messpunkte wurden Werte ermittelt, die PCB 47, 51 und 68 aufweisen. Diese giftigen Chlorverbindungen werden bei der Silikonproduktion mit chlorhaltigem Vernetzer freigesetzt. Einer dieser Messpunkte liegt unmittelbar nördlich der Firma Sico, die anderen beiden in Hauptwindrichtung.
Die Werte der Messpunkte in Hauptwindrichtung - in Höhe Kreisstraße 112 und Menglinghauser Straße - würden aus Sicht des Ministeriums nur dann eine vorsorgliche Verzehrswarnung nötig machen, wenn Sico wieder den chlorhaltigen statt des chlorfreien Vernetzers einsetzen würde.
Kreisverwaltung: Es muss noch eine andere PCB-Quelle geben
Ganz anders, so der Kreis, stelle sich die Lage an den Kleingärten an der Brauckstraße dar. Hier seien die PCB-Werte im Löwenzahn so hoch, dass vorsorglich vor dem Verzehr von Obst und Gemüse gewarnt werden müsse.
Doch der Bericht liefere eine Überraschung: Auch ohne die im Fokus stehenden und von Sico stammenden PCB 47, 51 und 68 sei die Belastung von Nahrungspflanzen mit anderen PCB an dieser Stelle wahrscheinlich gesundheitsrelevant. Zudem werde an dieser Stelle auch der EU-Wert für dioxinähnliche PCB überschritten.
"Mit anderen Worten", so Wolfgang Flender, Abteilungsleiter Umwelt der Kreisverwaltung, „dort muss es noch mindestens eine weitere PCB-Quelle geben". Da nicht auszuschließen sei, dass der Löwenzahn PCB aus dem Boden aufgenommen hat, habe man sich entschieden, Bodenproben nehmen und untersuchen zu lassen. "Hiervon versprechen wir uns weitere, wichtige Erkenntnisse."
Wittener Firma: Es gibt keinen Handlungsbedarf unsererseits
Sico-Chef Ralf Skoda ist froh, dass seine Firma offenbar nicht der Hauptverursacher ist. Er hat sich, nachdem er auf Umwegen von den Ergebnissen erfuhr, umgehend selbst mit dem NRW-Umweltministerium in Verbindung gesetzt. Dort wurde ihm noch einmal bestätigt, dass die PCB-Funde nicht unmittelbar auf die Produktion seiner Firma zurückzuführen seien. Skoda: "Es gibt also keinen Handlungsbedarf unsererseits."
Die Firma im Gewerbegebiet Rüdinghausen zählte zu den silikonverarbeitenden Betrieben, die in ihrer Produktion einen so genannten Vernetzer eingesetzt haben, der Chlor enthält. Dies führt dazu, dass PCB 47, 51 und 68 entsteht und in die Umwelt gelangt. Auf die Spur gekommen waren die Behörden dieser Tatsache durch Erkenntnisse, die im Umfeld des Unternehmens BIW in Ennepetal gesammelt worden sind.
Anfang März waren tatsächlich hochgradig belastete PCB-Flocken bei Sico gefunden worden. Der Kreis verhängte daraufhin einen Produktionsstopp. Die Firma Sico selbst hatte inzwischen Messungen beauftragt und die Ergebnisse an Bezirksregierung, Berufsgenossenschaft und EN-Kreis weitergeleitet. Sie durfte nach der Zusage, einen chlorfreien Vernetzer einzusetzen, nach kurzer Zeit weiter produzieren.
>>> Info:
Der Einsatz chlorhaltiger Vernetzer in der Silikonproduktion wird vom Gesetzgeber gerade neu geregelt. Am Freitag (5.6.) hat der Bundesrat einem Vorstoß des Landes NRW zugestimmt. Damit ist jetzt die Bundesregierung am Zug.
Sie könnte silikonverarbeitende Betriebe in den Kreis der immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen aufnehmen und damit die Rechtslage so ändern, dass Behörden auch dann einschreiten können, wenn PCB unbeabsichtigt entsteht und freigesetzt wird.
Interessierte können den gesamten Untersuchungsbericht zu den Messergebnissen auf der Internetseite der Kreisverwaltung nachlesen.