Dortmund. “Wann hört das endlich auf?“, fragt eine Dortmunder Familie. Der Spagat zwischen Beruf und Kinderbetreuung stellt sie vor große Probleme.

„Wir gehen auf dem Zahnfleisch“, sagen Nora und Michael Rüdiger aus Dortmund. Die Eltern von Marius (14 Monate) und Valentin, der in Kürze vier Jahre alt wird, machen in diesen Wochen eine Erfahrung, die sie mit Tausenden Familien in NRW teilen: Wie schwer bis unmöglich es ist, ohne Kita-Angebot und Tagesmutter Beruf und Kinderbetreuung zu verbinden.

Die Nachricht am Freitag, 13. März, dass die Kitas in NRW geschlossen werden, hatte die Familie Rüdiger „nicht umgehauen“, erinnert sich Nora (38). Die Marketing-Managerin eines IT-Unternehmens sollte nach der Elternzeit erst im April wieder in den Job einsteigen. „Ich habe gedacht: Ich bin ja noch zwei Wochen zu Hause. Ich kann mit den Kindern auf den Spielplatz gehen und diese Familienzeit genießen. Zunächst hieß es ja nur, die Kitas sind vorläufig bis Ostern zu“, erinnert sie sich. Ostern sei doch kein Problem. Das schaffen sie schon irgendwie. Glaubten die Rüdigers.

Die Nerven liegen blank

Zwei Monate später liegen die Nerven der Familie blank. Der kleine Marius darf nicht von der Tagesmutter betreut werden, weil er dafür noch zu jung ist. Valentin kann nicht in den Kindergarten. Nora ist wieder im Job und sitzt im Homeoffice an vier Tagen in der Woche fünf Stunden lang praktisch ununterbrochen am Computer.

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Sie haben ein Schichtdienst-System eingeführt: Michael (44), ein IT-Experte, arbeitet zunächst von 5.30 Uhr bis 9 Uhr morgens und passt dann auf die Kinder auf. Noras Dienstzeit ist von 9 bis 14 Uhr. Dann ist sie für Valentin und Marius da, während Michael bis weit in den Nachmittag hinein eine zweite Dienst-Schicht einlegt. Und weil dieses System so auf Kante genäht ist, arbeiten die Eltern oft auch abends weiter, wenn die Kinder im Bett liegen.

"Es ist praktisch nie Feierabend"

Ein bisschen Entspannung in diesen Spagat zwischen Beruf und Betreuung bringt ein Kniff, der pädagogisch gar nicht zu den Ansprüchen der Familie passt: Valentin wird in der Not vor dem Fernseher „geparkt“, bis zu eineinhalb Stunden am Tag. Mit ausgesuchten und altersgerechten Programmen zwar, aber die Eltern haben dann ein schlechtes Gewissen. Oma, Opa und die Patentante fallen als Betreuer natürlich aus. Corona-Risikogruppe. Geht gar nicht. Die Konsequenz aus dieser Ausnahmesituation: „Es ist praktisch nie Feierabend.“

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Der kleine Valentin, sagen die Eltern, spüre genau, dass da etwas nicht stimme. Mama und Papa sind manchmal auffallend genervt. Oft sagt der kleine Junge, dass er seine Freunde vermisst. „Das bricht mir das Herz“, erzählt Nora und kämpft mit den Tränen. Wie soll man einem Noch-Dreijährigen erklären, welche Katastrophe da gerade ein ganzes Land heimsucht?

Hoffnung auf bessere Zeiten

Das Problem mit der Kinderbetreuung trifft auch viele Freunde und Kollegen von Nora und Michael. Ihre Arbeitgeber haben Verständnis dafür, obwohl die fehlende Flexibilität der Eltern anderen Mitarbeitern mitunter Mehrarbeit beschert. Man arrangiert sich. Man hofft auf andere, auf bessere Zeiten. Und denkt an all jene, die es in dieser Krise noch härter trifft, weil sie ihren Job verlieren oder in schlechter bezahlte Kurzarbeit müssen.

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„Das Schlimmste ist für uns, dass einfach kein Land in Sicht ist“, sagen die Eltern. Und: „Wir fühlen uns von der Politik übersehen.“ Zwischendurch keimte Hoffnung in der Familie, weil die zuständigen Minister von Bund und Ländern einen mehrstufigen Plan für die Kita-Öffnung ankündigten.

Als NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) in der vergangenen Woche dann einen konkreten Fahrplan vorlegte, schlug die Hoffnung in Ernüchterung um. In den kommenden Wochen erhalten zwar viele Kinder wieder Betreuungsangebote. Aber die große Gruppe, die keinen Anspruch auf Sonderbetreuung hat, ist eben nicht dabei und darf womöglich nur auf zwei „Aktionstage“ im Juni in der Kita hoffen.

"Wann hört das auf?" Nora hofft auf ein konkretes Datum

„Wann hört das endlich auf?“, fragt Nora. Sie möchte, dass man ihr ein konkretes Datum nennt. „Das würde uns schon helfen. Denn dann wissen wir, wann diese Situation enden wird.“ Eine Art Regelbetrieb in den Kitas in NRW soll spätestens im September beginnen, so die Landesregierung. Inzwischen beschleicht die Familie Rüdiger aber die Furcht, dass es noch länger dauern könnte. Und dann müssten sie noch monatelang daheim das Unmögliche möglich machen.

Ab Donnerstag, 14. Mai, erhalten Vorschulkinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und Kinder mit Behinderungen wieder Zugang zu Kitas in NRW. Dann steht auch die Kindertagespflege allen Zweijährigen offen. Vorschulkinder dürfen ab 28. Mai wieder in die Kitas und die Tagespflege kommen. Ab September soll es für möglichst alle Kita-Kinder einen „eingeschränkten Regelbetrieb“ geben.