Witten. Die Corona-Krise erwischt die Schausteller in Witten ausgerechnet zum Saisonstart. Jetzt fällt jede Kirmes aus. Was also tun, um zu überleben?
Gebrannte Mandeln, Lebkuchenherzen, Schokofrüchte – der Süßwarenwagen von Max Nowag bietet das volle Programm. Normalerweise steht er damit auf der Himmelfahrtskirmes, bei Kemnade in Flammen und anderen Jahrmärkten. Jetzt ist alles abgesagt, bis mindestens Ende August. Für ihn und seine Schaustellerkollegen ist das ein Totalausfall.
Dem fahrenden Volk sind durch die Corona-Krise sämtliche Einnahmen weggebrochen. Gleichzeitig laufen die Kosten weiter. Trotzdem hält Max Nowag, zweiter Vorsitzender der Wittener Schaustellervereinigung, nichts von Trübsal blasen. Nach dem Motto: Dann gibt’s eben auch die „Kirmes to go“.
Nowag verkauft seine handgemachten Süßwaren jetzt an seinem Betriebsgelände in Bommern an Fahrradfahrer und Spaziergänger – und hält sich mit guter Laune über Wasser.„Nach dem Shutdown war mein erster Gedanke: Ich glaub, wir sind am Ende.“ Seine Existenzgrundlage, die Kirmes, ist erst mal komplett auf Eis gelegt: „Das ist, als wäre uns der Boden unter den Füßen weggezogen worden.“
In der „Mandelhütte“ in Witten steht ein Desinfektionsspender
Der 29-Jährige ist Schausteller in der sechsten Generation. „In so einer Situation war der Betrieb seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.“ Auch wenn die Not groß ist, aufgeben kommt für ihn nicht in Frage. Seine Freundin Hannah Piotrowiak hatte die Idee, den Süßwarenwagen, die „Mandelhütte“, vor dem Betriebsgelände zu öffnen.
Jetzt steht die 22-Jährige hinterm Tresen und verkauft Popcorn und gebrannte Mandeln – lachend und mit lockeren Sprüchen auf den Lippen. „Wir verlieren nicht unsere gute Laune, wir zaubern den Leuten lieber ein Lächeln ins Gesicht.“ Viele Bommeraner kommen bei dem sonnigen Wetter vorbei. Auch Annelie Fälber (54) und ihre Tochter Saskia (23) freuen sich über ein bisschen Abwechslung. „Die Kirmes gehört in Witten dazu. Das ist einfach schön, jetzt hier ein Stück davon zu haben“, sagt Annelie Fälber.
In der Mandelhütte steht ein Desinfektionsspender, ein großes Schild fordert dazu auf, Abstand zu halten. Ab Montag will Max Nowag auch einen Mundschutz tragen: „Sicherheit geht vor.“ Wenn die Stadt es erlaubt, würde er gern ein Karussell aufstellen. Natürlich dürften immer nur wenige Kinder gleichzeitig fahren, und nach jeder Runde müsse das Fahrgeschäft desinfiziert werden.
Auch wenn der junge Schausteller nicht genau weiß, wie es weitergeht: Die Pläne für einen Weihnachtsmarkt-Ersatz mit Schutzmaßnahmen liegen jetzt schon in der Schublade. „Es steht natürlich noch nichts fest, aber wir planen langfristig“, so Nowag. Der Süßwarenwagen ist für ihn die einzige Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Schließlich Kosten für Versicherungen, Sprit oder Lebensmittel weiter – und irgendwo von muss er ja auch noch selbst leben.
9000 Euro Soforthilfe sind noch nicht auf dem Konto des Schaustellers aus Witten
Die letzten fünf Wochen haben Max Nowag mehrere tausend Euro gekostet. 9000 Euro NRW-Soforthilfe für Selbstständige sind beantragt, aber noch nicht auf dem Konto. Rücklagen hat der Wittener keine, er ist erst seit drei Jahren selbstständig. „Als Schausteller investiert man jeden Euro direkt wieder neu, da wird nichts gespart.“ So wie ihm geht es auch anderen in der Branche.
Seinem befreundeten Schaustellerkollegen Toni Höfling hat Nowag deswegen angeboten, seinen Wagen ebenfalls vor dem Betriebsgelände aufzustellen, um dort Bratwurst und Backkartoffeln zu verkaufen. Mit seinem Wagen steht Höfling normalerweise auf dem Wittener Weihnachtsmarkt. „Wir müssen jetzt alle zusammenhalten“, so Nowag. Auch für die Schaustellerfamilie Bonner ist die derzeitige Situation der „Supergau“.
„Breakdance“-Besitzerin aus Witten: Karussellfahren gibt’s nicht to go
Dagmar Bonner weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll. „Karussellfahren gibt’s nicht to go und erst recht nicht online.“ Sie hat die NRW-Soforthilfe zwar schon bekommen, aber „die 9000 Euro decken noch nicht mal die Unkosten“. Eigentlich wäre sie mit Tochter und Schwiegersohn und all den Aushilfen mit ihrem spektakulären „Breakdance“-Karussell jetzt längst unterwegs. In Witten hätte sie vom 21. bis 25. Mai auf der Himmelfahrtskirmes gestanden, in Herne vom 6. bis 16. August wie immer auf der Cranger Kirmes. Und jetzt? Alles abgesagt. Die Umsatzverluste, sie gehen in die Zigtausende.
Drum nennt auch Schausteller Heiner Aufermann die Soforthilfe des Landes nur „einen Tropfen auf dem heißen Stein.“ Der erste Schock ist zwar verarbeitet, aber die Unsicherheit, wie es weitergeht, groß. „Wir haben alle den April abgewartet und gehofft, dass es im Mai wieder losgeht“, sagt Aufermann. „Aber jetzt sind wir schon bei Ende August.“ Einige seiner Kollegen hätten sich bereits zusätzliche Jobs wie Lkw fahren gesucht, um über die Runden zu kommen. „Uns Schaustellern wäre es am liebsten, wir würden morgen früh aufwachen und die Politik sagt, es war alles nur ein Albtraum.“Hier gibt es mehr Artikel, Bilder und Videos aus Witten