Witten. . Das Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen wird zehn Jahre alt. Zum Jubiläum blickt Prof. Martina Roes auf die Erfolge – und ihre Hoffnungen.

Seit zehn Jahren erforscht das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Therapien gegen Demenz. Bundesweit gibt es zehn Standorte, einer davon ist Witten. Der Arbeitsschwerpunkt hier liegt in der Entwicklung von Versorgungsstrategien für Erkrankte. Standortsprecherin Prof. Dr. Martina Roes erklärt im Gespräch, was sich dabei in zehn Jahren getan hat – und woran es noch immer noch hapert.

Was macht das DZNE genau?

Prof. Roes: Das Besondere an unserer Einrichtung ist die Breite der Forschung in allen Bereichen von neurodegenerativen Erkrankungen, also nicht nur Demenz, sondern auch Parkinson und Multipler Sklerose etwa. Dabei betreiben wir nicht nur Grundlagen- und klinische Forschung, sondern entwickeln eben auch Strategien zur Versorgung von Erkrankten und zur Unterstützung von Angehörigen.

Hat sich in den zehn Jahren etwas verändert?

Ja. Es wird anders über Demenz gesprochen, man hat verstanden, dass es eine Krankheit mit vielen Facetten ist. Demenz ist im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen. So gibt es inzwischen beispielsweise eine Anschubfinanzierung für Gemeinden, die Demenznetzwerke aufbauen wollen. Das ist ein toller Erfolg – und eine Konsequenz aus dem Ansatz, dass wir offen über die Krankheit sprechen müssen. Aber ich kann leider nicht behaupten, dass wir bereits ganz aus der Diskriminierungs- und Isolationsecke raus sind.

Das DZNE sitzt in den Räumen in Annen an der Stockumer Straße  12.
Das DZNE sitzt in den Räumen in Annen an der Stockumer Straße 12. © Bastian Haumann

Sie sagen, wir müssen in der Versorgung der Kranken weg von der Reduzierung unerwünschten Verhaltens und hin zur Zufriedenheit im Moment. Was heißt das?

Unsere Studien haben ergeben, dass wir das Verhalten Demenzkranker nur bedingt verändern können. Wenn jemand etwa dauernd weint, winkt oder ruft, können wir die Trigger, also die auslösenden Faktoren, oft nur wenig beeinflussen. Daher müssen wir uns fragen, ob die Reduzierung solcher Verhaltensmuster wirklich das Mittel der Wahl sein kann. Ob wir den Kranken nicht vielmehr das Gefühl geben müssen: Das was jetzt gerade passiert, ist das, was zählt. Das können zehn Minuten Musik sein, ein gemeinsames Lied oder eine Berührung. Aber da stehen wird jetzt natürlich vor einer methodischen Herausforderung. Denn dieses Wohlbefinden kann man nicht mit medizinischen Vorher-Nachher-Standards messen.

Festveranstaltung mit internationalen Referenten

Das DZNE wurde im April 2009 gegründet. Es beschäftigt 1100 Beschäftigte aus 50 Nationen. Der Standort Witten zählt derzeit rund 30 Mitarbeiter.

Zum Jubiläum gibt es am Montag, 7. Oktober, eine Festveranstaltung an der Uni Witten, zu der auch internationale Referenten erwartet werden.

Also nicht der Kranke muss sich ändern, sondern sein Umfeld muss sich anpassen?

Genau. Aber das ist zeitintensiv. Denn wir müssen dabei genau hinschauen, wo jemand Hilfe braucht. Aber das kann gelingen, wenn wir uns auf das Kernelement der Versorgung von Demenzkranken konzentrieren: Es geht um Beziehungsgestaltung. Exakt zu diesem Thema haben wir erst im März einen nationalen Expertenstandard – also ein Instrument zur Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege – nach erfolgreicher Erprobung veröffentlicht, der unerwartet positiv aufgenommen wurde.

Warum unerwartet?

Wir wurden quasi von Erfolg und Zustimmung überrannt – auch von Pflegenden. Dabei geht es bei der Beziehungsgestaltung doch ans Eingemachte, nämlich um die Haltung des Personals, das sich ja auf die Menschen mit Demenz einlassen muss.

Weitere zehn Jahre – wo sehen Sie die Demenzforschung dann?

Ich hoffe, dass wir dann die Menschen mit Demenz stärker in die Forschung einbinden. Dass wir nicht mehr über sie sprechen, sondern mit ihnen – und zwar in allen Stadien der Krankheit. Und wenn die Worte fehlen, dann müssen wir halt andere Kommunikationsformen finden.