Witten. Die Stadt Witten stärkt Pflegefamilien – nicht erst nach den Missbrauchsfällen. Es gibt ein neues Konzept und anderthalb zusätzliche Stellen.

Der Wittener Pflegekinderdienst hat ein neues Konzept für seine Arbeit entwickelt. Das ist – zumal nach den erschütternden Missbrauchsfällen auf einem Campingplatz in Lügde – eine gute Nachricht. Profitieren sollen davon letztlich die betroffenen Familien, zunächst jedoch die Mitarbeiter. 1,5 neue Stellen wird es ab Herbst für den Spezialdienst der Stadt geben. Das bedeutet: „Wir können mehr Zeit in die vorbeugende und beratende Tätigkeit investieren und nicht nur in Krisenzeiten zur Stelle sein“, sagt Sozialpädagogin Gisela Klotz (65), die den Dienst leitet.

Rund 180 Kinder leben in etwa 80 Pflegefamilien

„Wir sind natürlich nach Lügde in höchster Alarmbereitschaft. Aber wir müssen auch aufpassen, dass sich unsere Pflegeeltern nun nicht permanent angegriffen fühlen“, sagt ihre Kollegin, Sozialarbeiterin Regina Schilke-Neuhaus (55). Denn „die meisten leisten gute Arbeit“. Doch nur maximal vier bis fünf neue Bewerberpaare werden aktuell geprüft, da sich nicht mehr melden. „Und es werden immer weniger“, sagt Gisela Klotz. Das Wittener Jugendamt betreut rund 80 bestehende Pflegefamilien mit insgesamt 180 Kindern in Dauer- und Kurzzeitpflege.

Bisher habe sich ein über viele Jahre sehr konstantes und bewährtes Mitarbeiterteam mit fünf Personen auf vier Stellen darum gekümmert, den Kinderschutz zu gewährleisten, sagt Leiterin Gisela Klotz. Natürlich habe es dabei immer entsprechende Qualitätsstandards gegeben. Aber die müsse man kontinuierlich überarbeiten. Das Konzept solle nun auch den neuen Kollegen als Grundlage dienen, an der sie sich orientieren können.

Mehr Hausbesuche in den Pflegefamilien sind geplant

Geplant sind zum Beispiel mehr Hausbesuche in den Pflegefamilien, vor allem in der Anfangszeit nach der Unterbringung. Erstgespräche über die Motivation zukünftiger Pflegeeltern und ein erster Hausbesuch sollen stets zu zweit erfolgen. Für das Bewerberverfahren zur Gewinnung neuer Pflegeeltern gibt es ab sofort feste Vorgaben. Schon immer müssen sie eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, die psychische Erkrankungen, Alkohol- oder Drogensucht ausschließt. Benötigt werden außerdem ein polizeiliches Führungszeugnis und eine Schufa-Auskunft. Neu dabei: der Gehaltsnachweis. Ebenso die Unterschrift, zu Demokratie, Gewaltfreiheit und Toleranz zu erziehen.

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Trotz all der Formalitäten: „Wir brauchen mehr engagierte Leute, die sich dieser anspruchsvollen Aufgabe stellen“, sagt Sozialpädagogin Klotz. Ein „freistehender Bungalow“ sei keine Voraussetzung, wohl aber ein eigener Raum für das Pflegekind. Auch müssten die Eltern „kritikfähig und emotional geerdet sein“. Und sie sollten der deutschen Sprache mächtig sein. „Eine Familie im klassischen Sinne wäre am besten, mit einer konstanten Bezugsperson, die sich ganz dem Kind widmet.“

„Lügde könnte auch in Witten passieren“

Die Mitarbeiterinnen des Wittener Pflegekinderdienstes können deshalb nicht nachvollziehen, „dass ein Mädchen in eine Wohnwagensiedlung gegeben wurde“, sagt Regina Schilke-Neuhaus in Anspielung auf die furchtbaren Missbrauchsfälle auf dem Campingplatz. Pflegekinder bräuchten ein richtiges Familienleben mit entsprechendem häuslichem Umfeld. Trotzdem, sagt sie, könnte Lügde auch in Witten passieren. Wenn ein anderes Jugendamt ein Kind in die Ruhrstadt vermittelt, sei es zwei weitere Jahre lang allein zuständig für dessen Pflegefamilie. Schilke-Neuhaus: „Unser Wunsch wäre es, dass in so einem Fall wenigstens Rücksprache mit dem örtlichen Jugendamt gehalten wird.“