Witten. . Hanna Bücken und Mareike Schneider wollen eine Selbsthilfegruppe gründen. Denn blöde Sprüche müssen sie sich oft genug von anderen anhören.
Linus, inzwischen acht Monate alt, war ungeplant. „Aber jetzt bin ich froh, dass er da ist“, sagt Mareike Schneider, „ich habe mir immer Kinder gewünscht“. Doch das Leben mit dem kleinen Jungen birgt für sie eine besondere Herausforderung: Die 34-Jährige hat eine Halbseitenlähmung, die besonders den Arm betrifft. Gemeinsam mit Hanna Bücken (34) möchte sie nun eine Selbsthilfegruppe für Mütter mit Behinderung gründen.
Dass das Leben mit Kind trotz eines Handicaps funktioniert, wissen die jungen Frauen inzwischen. Doch das geht bei beiden auch nur mit Hilfe einer so genannten Elternassistenz, die im Alltag unterstützt. Die alleinerziehende Mareike Schneider, die bei ihrer eigenen Geburt aufgrund von Sauerstoffmangel einen Hirninfarkt erlitt und nun Epilepsie hat, ist rund um die Uhr darauf angewiesen. Die Wittenerin hat acht verschiedene Assistenten. „Ich hatte zwischenzeitlich Angst, dass Linus gar nicht weiß, wer nun seine Mama ist.“
Elternassistent hilft im Alltag
Hanna Bücken benötigt acht Stunden am Tag eine Elternassistenz und zwar in der Zeit, in der ihr Mann arbeiten geht und sie sonst mit dem 17 Monate alten Noah alleine wäre. Die junge Frau aus Volmarstein konnte als Kind noch laufen, war dann auf einen Rollator angewiesen und sitzt inzwischen im Rollstuhl. Sie hat Probleme mit dem Sprechen, doch wer ihr aufmerksam zuhört, kann sie gut verstehen. Dass sie einen seltenen Gendefekt hat, weiß sie erst seit dem vergangenen Jahr.
Als zu sehen war, dass sie ein Kind erwartet, musste Hanna Bücken sich blöde Sprüche anhören: „Das war doch bestimmt ein Unfall.“ Irgendwann hat sie sich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wunschkind“ bedruckt und es demonstrativ getragen.
Die Reaktion in ihrer Umgebung hat dennoch geschmerzt. „Viele sehen nur meine Behinderung. Dabei bin ich doch eine ganz normale Frau, die das Bedürfnis hatte, mit ihrem Mann ein Kind zu bekommen“, sagt sie. Heute macht sie den Eindruck, als stehe sie über solchen Dingen – wenn sie sich zum Beispiel an die Blicke des Verkäufers in einem Geschäft für Umstandsmode oder an Situationen auf dem Spielplatz erinnert.
Selbsthilfekontaktstelle unterstützt das Anliegen
Auch Mareike Schneider hat sich manchmal gefühlt „wie eine Außerirdische“, zumal mit doppeltem Stempel: alleinerziehend und behindert. „Das ist in der heutigen Gesellschaft eben nicht normal“, hat sie oft genug zu spüren bekommen. Über die Geburt und was danach kommen würde, habe sie sich keine großen Gedanken gemacht: „Ich hatte direkt ein gutes Gefühl und wusste, ich schaffe das.“
Um sich mit anderen Müttern in ähnlichen Situationen austauschen zu können, wollen die Frauen nun eine Selbsthilfegruppe ins Leben rufen. Die Selbsthilfekontaktstelle an der Dortmunder Straße unterstützt ihr Anliegen und hat die Verbindung zur Lebenshilfe hergestellt, in deren Räumen die Treffen stattfinden sollen.
„Das passt einfach hierhin“, sagt Judith Wagner (34), Leiterin des Bereichs offene Hilfen. Auch im Lebenshilfe-Kosmos trete das Thema Eltern-sein immer stärker zu Tage. Im betreuten Wohnen etwa gebe es auch zwei Mütter und einen Vater mit geistiger Behinderung.
Und eines haben Hanna Bücken und Mareike Schneider dann doch mit den meisten Müttern gemein: Sie sind einfach nur total stolz auf ihren Nachwuchs.
>> INFORMATION
- Die neue Selbsthilfegruppe für Mütter mit Behinderung trifft sich ab Mai jeden dritten Mittwoch im Monat von 15 bis 17 Uhr im Lebenshilfe-Center an der Dortmunder Straße 75. Das erste Mal also am 15. Mai.
- Es soll nicht nur um den persönlichen Austausch gehen, auch Vorträge von Gastrednern sind geplant. Natürlich sind auch die Kinder herzlich willkommen. Interessierte erhalten weiter Informationen unter: 1559.