Witten. . Die Reschkes haben im Krankenhaus den Ehemann, Vater, Schwiegervater und Opa bis zum Tod begleitet. Jetzt kehrten sie noch mal ins EvK zurück.
Als Mechthild Reschke nach über fünf Wochen die Klinik erstmals wieder betritt, wird ihr schwer ums Herz. Am 9. Februar ist ihr Mann Ralf im Evangelischen Krankenhaus (EvK) gestorben. Er wurde 68 Jahre alt. Über vier Jahre war er dort immer wieder Patient. „Und während all der Zeit haben wir uns gut aufgehoben gefühlt“, sagt die Wittenerin. Deshalb möchte sie sich bedanken – bei den Pflegekräften vor allem, deren Arbeit oft zu wenig Anerkennung findet.
Mechthild Reschke (64) kann das ganz gut beurteilen. Sie hat selbst als Altenpflegerin bei der Boecker-Stiftung gearbeitet. „Die Schwestern im EvK haben sich nicht nur um meinen Mann gekümmert, sondern auch um uns“, sagt sie und übergibt einen Kuchen, selbst gebackene Donauwelle, an die überraschten Angestellten. Denen ist es fast peinlich, dass Mechthild Reschke mit ihren beiden Söhnen Raphael und Rouven, deren Frauen Sabine und Heike und den beiden Kindern Moritz und Tom an diesem Nachmittag auf Station 8 erscheint. „Wir haben doch nur unsere Arbeit gemacht“, sagt Schwester Angela.
Familie hat sich rund um die Uhr abgewechselt
Ein Dankeschön, ja, das bekämen sie schon mal zu hören, sagt die junge Frau. „Aber sowas haben wir tatsächlich noch nicht erlebt. Schön, dass Sie sich bei uns so gut aufgehoben gefühlt haben“, freut sich ihre Kollegin Marina. „Dann weiß man auch wieder, warum man den Beruf mal gelernt hat.“ Sie lobt ihrerseits den Zusammenhalt der Familie.
„In der letzten Woche vor dem Tod meines Schwiegervaters haben wir uns hier im Krankenhaus rund um die Uhr abgewechselt. Und dabei gab es ganz viele, ganz schöne Momente“, sagt Sabine Reschke. Sie arbeitet seit 25 Jahren als Sekretärin im Department für Pflegewissenschaft der Uni Witten/Herdecke und hat die Dank-Aktion angestoßen. Denn: „Überall im Eingangsbereich hängen Urkunden und Zertifikate“, sagt sie. Für die beste Klinik-Webseite zum Beispiel oder für das Qualitätsmanagement. „Aber nie für die Pflegenden selbst.“ Oder die Service- und Reinigungskräfte. „Aber alle waren ein wirklich gut eingespieltes Team.“
Abends hat das Ehepaar zusammen ferngesehen
Ralf Reschke lag auf der Wahl-Leistungs-Station, hatte zum Schluss ein Einzelzimmer. Ein Privileg, mag jetzt mancher meinen. „Aber dafür hat er auch eine Zusatzversicherung gehabt, sonst hätten wir uns das nicht leisten können“, sagt Sabine Reschke. Wie wichtig so etwas sein kann, habe vor allem die letzte Phase vor dem Tod ihres Schwiegervaters gezeigt. Mechthild Reschke durfte eine Woche lang bei ihrem Mann im Zimmer schlafen. „Die haben wie selbstverständlich einfach ein Bett für mich reingestellt“, sagt sie. „Wir konnten noch abends zusammen fernsehen“ – fast wie zuhause.
„Wir haben unserem Vater irgendwann gesagt, dass er nicht mehr kämpfen soll.“ Er sei ganz friedlich eingeschlafen, sagen Rouven und Raphael Reschke. „Es war nicht so schlimm, wie man sich das vielleicht vorstellt.“ Als es zu Ende ging, habe sich sogar eine Schwester dazu gesetzt. „Wenn er hier nicht so gut aufgehoben gewesen wäre, hätte ich meinen Mann einfach mit nach Hause genommen“, sagt seine Frau. So hat sie es schon im vergangenen Dezember gemacht, als es ihm etwas besser ging und er Weihnachten ein letztes Mal zuhause erleben sollte. 47 Jahre war das Paar verheiratet.
Bei einem Menschen im Krankenhaus hinterlässt Ralf Reschke übrigens besonderen Eindruck. „Er hat mich motiviert, eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin zu machen“, sagt Versorgungsassistentin Emina. Sie wird bald damit beginnen.
Pflege-Expertin fordert verschiedene Ausbildungen
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Pflegewissenschaftlerin fordert Veränderungen
Nach wie vor engagiert sich Prof. Christel Bienstein (67) für die Pflege. Sie lehrt zwar nicht mehr an der Uni Witten/Herdecke, ist aber Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe sowie Vorsitzende des Unabhängigen Beirats für Pflege- und Familienzeit im Bundesfamilienministerium. Das Beispiel Reschke hält die Pflegewissenschaftlerin für vorbildlich – in jeder Hinsicht.
Nicht nur sei Ralf Reschke mit Hilfe des Palliativnetzwerks lange zuhause versorgt worden. Aufgrund des Krankheitsverlaufs sei dann eine medizinische Versorgung in der Klinik notwendig geworden. „Es ist toll, wenn dann Kollegen vor Ort sind, die viel Weitblick besitzen“, so Bienstein. Sie lobt ausdrücklich die Einbeziehung der Angehörigen.
Leider sei dieses Beispiel eher die Ausnahme. Zwar gebe es viele engagierte Pflegekräfte, doch selbst die seien irgendwann überfordert, wenn die Arbeitsbedingungen nicht stimmten. Zwei Aspekte könnten laut Bienstein dazu beitragen, den Pflegenotstand langfristig zu mildern: die Art der Pflegeausbildung und eine Neustrukturierung der Krankenhäuser.
Verschiedene Ausbildungen, weniger Kliniken
Nicht nur gebe es zu wenig junge Menschen, die den Pflegeberuf ergreifen. Denn die Konkurrenz zu anderen Berufssparten, die ebenfalls um Nachwuchs buhlen – Bänker und Handwerker etwa – sei zu groß. Auch müssten nicht alle die gleiche Ausbildung erhalten. Bien-stein plädiert für unterschiedliche Niveaus. Deshalb fordert sie Ausbildungen für Assistenten, die mehr auf Anweisung arbeiten, die Patienten auf die Toilette helfen oder Essenswünsche erfragen. Im Unterschied dazu wünscht sich die Expertin Ausbildungen für Absolventen der Berufskollegs und Hochschulen, die etwa auf Intensivstationen zum Einsatz kämen.
„Außerdem haben wir in Deutschland 600 Kliniken zu viel“, so die Pflegeexpertin. 1950 seien es insgesamt, „und jede kämpft ums Überleben“. Christel Bienstein nennt Dänemark als Vorbild. Dort habe man die Zahl der großen fachspezifischen Kliniken im Land inzwischen von 42 auf 28 reduziert. Dafür gebe es in jeder Kommune kleinere Erstversorgungszentren. Witten, sagt sie, sei mit seinen beiden Krankenhäusern ganz gut aufgestellt, dürfe die Zahl der Klinikbetten aber nicht erhöhen.