Witten. . Das Essener Beispiel macht in Witten keine Schule: Hier zählt bei der Tafel nur die Bedürftigkeit, nicht die Herkunft der Kunden.

Die Wittener Tafel: Rote Rosen und leuchtend gelbe Tulpen liegen am Eingang des Ladens in der Herbeder Straße 22. Ein Bund Blumen kostet 50 Cent. Vor der Tür wartet eine Handvoll Menschen. Manche Frauen tragen Kopftücher, andere leere Aldi-Tüten. Die Stimmung ist entspannt.

Die Tumulte rund um die Essener Tafel sind bei den Wittener Bedürftigen kaum Gesprächsthema. Vor zwei Wochen war bekannt geworden, dass der Essener Tafel-Vorstand vorerst keine ausländischen Neukunden mehr aufnehmen will. Deutschlandweit sorgte diese Entscheidung für Empörung.

„Also hier rempelt keiner vor der Tür“

Ute Dresbach schiebt einen kleinen Einkaufswagen durch den Laden der Wittener Tafel. Sie legt zwei Blumensträuße zu den Karotten im Korb. Hinter ihr schaut sich Azemina bei den Backwaren um. Seit einigen Jahren besucht Ute Dresbach einmal in der Woche die Tafel. „Die ersten Male waren nicht schön. Ich dachte, alle starren mich an.“ Die Scham war groß. Mittlerweile kommt die 68-Jährige sogar richtig gerne zum Einkaufen.

Den Aufnahmestopp für Ausländer an der Essener Tafel hat die Rentnerin verfolgt. Dort sollen Migranten deutsche Mütter und Senioren vergrault haben. „Also hier rempelt keiner vor der Tür. Wir verstehen uns alle sehr gut“, so Dresbach.

Die Tafel in Witten gehört zu den kleineren. Nur jeweils vier Kunden haben in dem kleinen Verkaufsraum Platz. Der Rest wartet vor der Tür, bis er dran ist. Es gibt eine kleine Obst- und Gemüseabteilung, Fächer mit Fertigprodukten und ein Kühlregal. Die Bedürftigen können selbst ihre Lebensmittel auswählen und in kleine Einkaufskörbe legen.

Die Preise sind „provisorisch“

Tafel-Mitarbeiter Jürgen Golnik hat allerhand zu schleppen, wenn neue Spenden in der Herbeder Straße eintreffen.
Tafel-Mitarbeiter Jürgen Golnik hat allerhand zu schleppen, wenn neue Spenden in der Herbeder Straße eintreffen. © Jürgen Theobald / FUNKE Foto Services

Die Einrichtung erinnert an einen gemütlichen Tante-Emma-Laden, auch wenn der Andrang groß ist. Mitarbeiter Jürgen Golnik war den ganzen Vormittag mit dem weißen Lieferwagen unterwegs, um die Spenden der Supermärkte abzuholen. 27 Sponsoren – darunter Aldi, Penny, Lidl und Netto – stehen auf seiner Liste.

„Sehr beliebt sind die Bio-Produkte von Alnatura“, so Golnik. „Das sind Sachen, die sich die Bedürftigen normalerweise nicht leisten können.“ Die Preise sind sehr, sehr klein. Jürgen Golnik nennt sie „provisorisch“. Ein Kilo Obst oder Gemüse kostet 25 Cent, 500 Gramm Wurst gibt es für einen Euro.

Zoja steht unentschlossen vor den Obstkisten. „Vielleicht noch ein paar Clementinen?“, fragt eine freundliche Verkäuferin. Clementinen landen neben der Paprika in Zojas Korb. Die junge Frau macht den Einkauf für ihre ganze Familie. Vor zwei Jahren kam sie aus Afghanistan nach Witten. Zweimal in der Woche deckt sie sich bei der Tafel mit Obst und Gemüse ein und mit weiteren Dingen, die gerade im Laden im Angebot sind.

85 Prozent der Kunden stammen aus dem Ausland

Mareike Schreiber vom Vorstand der Wittener Tafel mit der Sonderbriefmarke zum 25-jährigen Bestehen der Tafeln in  Deutschland.
Mareike Schreiber vom Vorstand der Wittener Tafel mit der Sonderbriefmarke zum 25-jährigen Bestehen der Tafeln in Deutschland. © Jürgen Theobald / FUNKE Foto Services

85 Prozent der Wittener Tafel-Kunden stammen nicht aus Deutschland. „Wir unterscheiden nicht nach Herkunft. Bei uns zählt die Bedürftigkeit“, so Mareike Schreiber vom Vorstand der Wittener Tafel. Nach den Vorfällen in Essen habe sich nichts an der Stimmung unter den Kunden geändert. Ute Dresbach sieht es so: „Manchmal versteht man die Sprache der Leute nicht. Aber das macht nichts. Wenn Kinder dabei sind, ist es noch leichter. Ihr Lachen versteht man auch ohne Worte.“

Die Wittener Tafel finanziert sich hauptsächlich von Spenden. Wer helfen möchte: IBAN: DE68 4525 0035 0000 0189 11.


>>> BODO-VERKÄUFER ZUR WITTENER TAFEL

Die Entscheidung des Vorsitzenden der Essener Tafel, vorerst nur deutsche Neukunden aufzunehmen, hat eine bundesweite Debatte ausgelöst.

Der Bodo-Verkäufer Michael Coenen ist selbst bedürftig und kauft hin und wieder bei der Tafel in Witten ein. Er schrieb der WAZ via Facebook. Coenen meint, das Team in Essen sei dem großen Zulauf einfach nicht gewachsen.

Bei der „kleinen“ Tafel in Witten sei das anders: „Da herrschen solche Zustände nicht, man kann dort bedenkenlos einkaufen oder umsonst essen. Niemand muss eine Nummer ziehen und jeder wird gleich behandelt, egal ob Migrant oder Rentner. Drohen Streitigkeiten, wird von den Mitarbeitern vermittelt.“

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