Essen. . Am Mittwoch hat die „Essener Tafel“ neue Berechtigungskarten für Lebensmittel ausgegeben. Mehrere Migranten wurden weggeschickt

Eines möchte er noch loswerden, sagt Peter Vogel, als der Reporter Block und Stift schon wieder einstecken will. „Es ist eine unglaubliche Frechheit von Frau Merkel, sich hier einzumischen.“ Als Kanzlerin sollte sie doch dafür sorgen, dass es in Deutschland „Tafeln“ gar nicht geben müsste. „Und nun die Ehrenamtlichen zu maßregeln, die uns Bedürftigen helfen . . . “ – Peter Vogel fehlen dafür die Worte.

Der 66-Jährige kommt seit fünf Jahren zur Tafel, weil die kleine Rente für ihn und seine Frau einfach nicht reiche. An diesem Mittwochmorgen will er sich im Wasserturm an der Steeler Straße eine neue Berechtigungskarte abholen. Die letzte Wartemarke ist schon vergeben, bevor sich 30 Minuten später eine Etage höher die Türen öffnen. 50 Karten gibt die „Tafel“ aus, wie an jedem Mittwoch. Es ist der Tag nach dem der Vorstand seinen Beschluss von Dezember bekräftigt hat, vorerst keine Migranten mehr als Neukunden aufzunehmen. Draußen vor der Tür haben Fernsehteams ihre Kameras aufgebaut.

Vielleicht gebe der Aufnahmestopp einen Denkanstoß

Peter Vogel findet die Entscheidung des Vorstandes traurig und zeigt doch Verständnis. Er habe selbst erlebt, wie sich Leute vordrängen, junge Männer, augenscheinlich Migranten. „Man lässt es geschehen“, sagt er. Vielleicht gebe der Aufnahmestopp ja einen Denkanstoß, hofft er. „Auch die Alten haben eine Würde.“

Jörg Sartor, der Leiter der „Tafel“, will eigentlich nichts mehr sagen und redet dann doch. Der Ball liege in Berlin. Die anderen Tafeln könnten der Essen eigentlich dankbar sein. Denn nun werde über Armut in Deutschland gesprochen.

Kunden bestätigen, dass es an der „Tafel“ zuweilen rau zugeht

Nicht nur über Armut: Kurz darauf bittet Sartor die Journalisten in sein Büro, um ihnen einen Herrn vorzustellen. Der 49-Jährige möchte nicht, dass sein Name in der Zeitung steht. Dann berichtet er, wie er bei seinem letzten Besuch der „Tafel“ im Dezember vor einem Jahr von jungen „Nicht-Deutschen, 30 bis 40 Jahre alt an den Rand gedrängt“ worden sei. Ein Taxifahrer habe ihm schließlich geholfen. Seitdem sei er nicht mehr zur „Tafel“ gekommen. An diesem Mittwochmorgen hat er einen Begleiter mitgebracht.

Was der Mann schildert, sei „nicht die Regel“, betont Sartor. Und doch wirkt es, als solle der Mann als Kronzeuge dienen, als Beleg, dafür dass der vorübergehende Aufnahmestopp notwendig sei.

Andere Kunden bestätigen, dass es an der „Tafel“ zuweilen rau zugeht, berichten von Neid und von Missgunst, wenn ein Alleinstehender keine Tafel Schokolade bekommt, weil Familien vorgehen. Nicht nur Migranten benähmen sich daneben. Zwei bis drei Mal pro Jahr käme es vor, dass er Kunden die Berechtigungskarte entziehe, berichtet Sartor. Es gehe weniger ums Drängeln oder Schubsen als um ein Klima, das Schwächere abschrecke. Ein Klima, für das er die hohe Anzahl an Migranten verantwortlich macht.

Aufnahmestopp trifft auch die Schwächsten: 69-Jähriger aus dem Iran bekommt keine Berechtigungskarte

Dass der Aufnahmestopp auch unter ihnen die Schwächsten trifft, wird deutlich, als die ersten die Treppe hinunterkommen. Mehrdad D. ist 69 Jahre alt, ist Flüchtling aus dem Iran und nicht gut zu Fuß. Seit zwei Jahren kommt er zur Tafel. Diesmal haben sie ihm die Berechtigungskarte verweigert. In sechs Wochen solle er wiederkommen. „It’s not ok. Tafel ist for all the people“, sagt er. Die Tafel sei doch für alle da.

Ali Kheder A. wird von seiner Begleitung die Treppe heruntergeführt. Auch er stammt aus dem Iran, ist längst im Seniorenalter und offenbar stark sehbehindert. Auch er hat keine Berechtigungskarte bekommen. „Ich weiß nicht, wieso“, sagt er in gebrochenem Deutsch.

Beide Männer sind völlig unverdächtig, dass sie andere mit körperlicher Gewalt an den Rand drängen könnten. Auch für sie gilt der Aufnahmestopp, wenn auch nur vorübergehend. In den nächsten 14 Tagen will ein „Runder Tisch“ beraten, was zu tun ist. Sieht so aus, als hätten sie einiges zu besprechen.

Informationen zur Essener Tafel

Wie viele Menschen erreicht die Essener Tafel?

In 13 Verteilstellen gehen die Lebensmittel jede Woche an rund 6000 Menschen. Die Tafel beliefert darüber hinaus nach eigenen Angaben knapp 110 soziale und karitative Einrichtungen wie Mittagstische in sozialen Brennpunkten oder Anlaufstellen für Obdachlose mit weiteren rund 10 000 Menschen. Bundesweit verteilen die Tafeln die Lebensmittel regelmäßig an bis zu 1,5 Millionen Bedürftige.

Wer macht die Arbeit?

In Essen sind es 120 ehrenamtliche Helfer, die Lebensmittel sammeln, sortieren und verteilen. Die Waren werden von Lebensmittelmärkten, Produzenten, Großhändlern und Bäckereien gespendet. Mit sechs Kühlfahrzeugen sammeln die Ehrenamtlichen die Waren ein und bringen sie zu den Ausgabestellen.

Wer darf zur Essener Tafel gehen?

Jeder, der seine Bedürftigkeit nachweisen kann: Empfänger müssen Hartz IV, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen. In Essen erhalten die Kunden nach erfolgreicher Anmeldung eine Kundenkarte und eine feste Abholzeit einmal in der Woche. Bei der Anmeldung muss sich der Kunde entscheiden, an welcher der Verteilstellen er die Lebensmittel erhalten möchte. Jeder Erwachsene muss pro Ausgabe einen Euro Schutzgebühr bezahlen. Wer seinen Termin nicht einhalten kann, muss sich telefonisch abmelden. Wer das drei Mal versäumt, verliert die Berechtigung. (dpa)

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