Weil die Oberhausener Tafel mit einem Vergabesystem per Los arbeitet, gebe es keine Probleme, versichern die Ehrenamtlichen.

SAT 1 war schon da, der WDR und die lokalen Radiostationen von Oberhausen und auch Mülheim – seitdem die Essener Essensausgabe für Bedürftige in die Schlagzeilen geriet mit ihrer Entscheidung, keine Ausländer mehr zu versorgen, ist die Oberhausener Tafel genauso im medialen Belagerungszustand wie viele andere Schwestervereine auch. Dabei gebe es hier keine Probleme, wie Vorstands-Mitglieder und ehrenamtliche Helfer versichern.

Das 2016 eingeführte elektronische System und die auf Chipkarten und Losverfahren basierende Vergabe wirke deeskalierend. Die Stimmung bei den 1500 Menschen, die zur Lebensmittelausgabe vor allem in die ehemalige katholische Kirche an der Gustavstraße kommen, sei entspannt und auch habe sich bei 60 Prozent ausländischen „Kunden“, wie die Besucher genannt werden, niemals jemand über zu viele Migranten beschwert – wie in Essen geschehen.

Der neue Vorstand der Oberhausener Tafel : (v.l.) Irene Bröker, Silvia Willershausen, Ivica Jankovic, Anja Käuler und Petra Schiffmann.
Der neue Vorstand der Oberhausener Tafel : (v.l.) Irene Bröker, Silvia Willershausen, Ivica Jankovic, Anja Käuler und Petra Schiffmann. © Unbekannt | Funke Foto Services GmbH





Dabei beschäftigt die hiesigen Ehrenamtlichen zurzeit ein ganz anderes Thema: Es gibt einen neu gewählten Vorstand, der jung und sehr weiblich ist und eine neue Zeitenwende einläuten möchte. Als erste Vorsitzende des Vereins mit 105 Mitgliedern löst Petra Schiffmann (53) den Tafel-Mitbegründer Josef Stemper (76) ab. Der blickt auf 17 Jahre Erfahrung zurück. Die Devise laute damals wie heute: „Wir versorgen alle Bedürftigen. Punkt. Wir sortieren nicht nach Kriterien aus.“ Ein Vorgehen wie in der Nachbarstadt hält er in Oberhausen für undenkbar.

Der Ausweis der Kunden wird eingescannt.
Der Ausweis der Kunden wird eingescannt. © Unbekannt | Funke Foto Services GmbH





Wer zwischen 9 und 11 Uhr morgens mit seiner Chipkarte oder zur Neu-Registrierung mit einer Bescheinigung über seine Bedürftigkeit zur Gustavstraße kommt, erhält eine per Zufall generierte Nummer. Ab 13 Uhr werden dann – der Reihe nach und in Gruppen von zehn bis zwanzig Personen – alle eingelassen. Gleiches Recht für alle heißt es dann auch beim „Einkauf“: Sind viele da, gibt es für jeden Einzelnen etwas weniger und umgekehrt. „Ein alleinstehendes Ehepaar bekommt genauso Schokolade wie eine Familie mit Kindern“, erklärt Schatzmeisterin Anja Käuler, wie dem Neid entgegengewirkt werde. Wenn es doch mal Stress gebe, der wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht behoben werden kann, werde schnell einer der Mitarbeiter mit Fremdsprachenkenntnissen herbeigeholt.

Stemper ärgert die bundesweite Debatte: „Wegen eines Negativbeispiels ist die gut funktionierende Arbeit von mehr als 900 Tafeln in den Hintergrund gerückt.“ Schiffmann kritisiert, dass Leute, die selbst nie vor Ort waren, Kritik äußerten. „Die sollen erstmal vorbeikommen.“ Von Politikern würden die Tafeln „benutzt“.

Kirche spendet positive Energie



Um kurz vor 13 Uhr herrscht zwar eisige Kälte im Innenhof der „Tafel-Kirche“ an der Gustavstraße, aber wenigstens hat der starke Wind hier keinen Zutritt, der auf den Gehwegen der Stadt gerade scharf in die Gesichter schneidet. Ob deshalb die Frauen und Männer hier relativ gelassen auf die Lebensmittelausgabe warten?

Ein freundliches Wort gehört für die ehrenamtlichen Helfer und ihre „Kunden“ dazu.
Ein freundliches Wort gehört für die ehrenamtlichen Helfer und ihre „Kunden“ dazu. © Unbekannt | Funke Foto Services GmbH





Einige stehen in Grüppchen da und unterhalten sich, andere starren vor sich hin, leere Beutel und Taschen in den Händen. Ein Kind windet sich weinend im Buggy. Seine Mutter scheint aber Glück im Losverfahren gehabt zu haben. Sie steht ganz vorne an der Glastüre und wartet, dass sie sich öffnet.

Architektonische Besonderheiten, ein ausgeklügeltes elektronisches System – die alten und neuen Vorstandsmitglieder der Tafel verweisen im gutgeheizten „Café“-Bereich im Inneren der ehemaligen katholischen Kirche stolz auf mehrere Punkte, die ihrer Ansicht nach die Lebensmittelvergabe in Oberhausen ohne Stress und Streit ablaufen lassen.

Ein Dach für 20 000 Euro

„Wir machen das hier ganz entspannt“, sagt Petra Schiffmann, frischgebackene erste Vorsitzende des Vereins. Als sie 2016 die neue EDV einführten, hätten sie sich bei den Kollegen in Essen vorführen lassen, wie so etwas aussehen kann. Ausgerechnet in Essen, wo sie jetzt die Reißleine gezogen haben und keine Ausländer mehr aufnehmen. Weil deutsche Bedürftige sich wegen deren großer Anzahl und schlechtem Benehmen unwohl gefühlt haben sollen.

Eine Entscheidung, die undenkbar wäre für die hiesigen Helfer. Was in Essen genau das Problem ist, darüber könnten sie nur mutmaßen. „Vielleicht ist deren System nicht flexibel genug“, sagt Josef Stemper, der ehemalige Vorstands-Vorsitzende. „Dieses Drängeln und Schubsen, das haben wir nie erlebt.“ Vielleicht läge es auch daran, dass die Menschen im Innenhof der Kirche unter einem – für 20 000 Euro gespendeten – Dach im Trockenen warten könnten und bei Kälte heißer Tee verteilt werde.

Überhaupt, die Kirche: „Vielleicht sollten die Essener eine Kirche anmieten“, sagt Stemper. „Dieses Gebäude trägt zur Entspannung bei“, meint sein Kollege Kurt Märzke. „Es wird von den Angehörigen aller Religionen respektiert.“

Nicht nur mit ihrer fröhlichen Art eine Bereicherung fürs Tafel-Team: Ehrenamtlerin Sulava Chammo stammt aus Syrien und spricht kurdisch, arabisch und ein wenig türkisch.
Nicht nur mit ihrer fröhlichen Art eine Bereicherung fürs Tafel-Team: Ehrenamtlerin Sulava Chammo stammt aus Syrien und spricht kurdisch, arabisch und ein wenig türkisch. © Unbekannt | Funke Foto Services GmbH





Während sie erzählen im Café, an den Wänden die kunterbunten, von der Hilfsorganisation Misereor gestalteten Hungertücher, ist nebenan beinahe geräuschlos die Essensausgabe in vollem Gange. Einzig die Stimme von Ivica Jankovic, ebenfalls Vorstandsmitglied, ist zwischendurch zu hören; Laut ruft er die Nummern auf. Ärger und Aggressionen habe er noch nicht erlebt, sagt auch er. Und wenn überhaupt, dann nur Kleinigkeiten, die stets schnell gelöst werden können. Dafür seien dolmetschende Ehrenamtliche und die täglich eingesetzten Gruppenleiter zur Stelle.

Im Kirchenschiff mit den leuchtendbunten Fenstern ist die Arbeit für heute getan. Die Ehrenamtler schwingen die Besen, wischen die Tische. Es ist sogar noch einiges übrig geblieben. Paprika, Möhren, Salat. Noch ein weiteres Geheimnis der entspannten Atmosphäre in Oberhausen: 60 beteiligte Geschäfte sorgen stets für ausreichende Vorräte. Und die sollen hier weiterhin an alle Bedürftigen verteilt werden – ohne Ausnahme.

Nur möglich durch Spenden von Bürgern und Firmen

Die Oberhausener Tafel wurde 2001 gegründet. In der „Tafel-Kirche“ an der Gustavstraße ist sie seit 2007. Sie zahlt dort keine Miete an den Eigentümer, das Bistum Essen, jedoch Nebenkosten in Höhe von 18 000 bis 20 000 Euro pro Jahr. Bedürftige erhalten in der Tafel-Kirche und in Zweigstellen an der Drossel-, Bahn- und Gabelstraße gegen einen Euro Gebühr Lebensmittel. So wird die Hälfte des Jahres-Etats von 90 000 - 100 000 Euro finanziert, die andere Hälfte durch Spenden.