Witten. . Viele Kunden ließen sich im Studio „Rockland“ in Witten-Annen für den guten Zweck tätowieren. Der Erlös kommt türkischen Straßenhunden zugute.

Um 11.45 hat sich bereits eine Schlange vor dem Tätowierstudio „Rockland“ gebildet, die Kunden stehen schon auf der Annenstraße. Es schneit, hat zwei Grad minus. Sie stehen Schlange, weil sie sich tätowieren lassen wollen.

Aber diesmal nicht einfach so. Das eingenommene Geld kommt einem Tierheim im türkischen Edremit zugute, das sich um Straßenhunde kümmert. Es sind 300 Tiere, sie sind krank, alt, verwaist, gelten als hässlich und werden sehr oft einfach ausgesetzt.

Nathalie Segatz (18) lässt sich von Tätowierer Günna ein neues Tattoo stechen: einen Mund, der eine Rose zwischen den Vampirzähnen hält
Nathalie Segatz (18) lässt sich von Tätowierer Günna ein neues Tattoo stechen: einen Mund, der eine Rose zwischen den Vampirzähnen hält © Jürgen Theobald (theo)

Doch warum lassen sich Wittener Bürger für wildfremde Straßenhunde in einem fernen Land in die Haut stechen? „Wir müssen allen helfen, die Hilfe brauchen“, sagt Natalie Segatz schlicht und einfach. Die 18-Jährige ist an diesem Samstag extra aus Bocholt gekommen. Zwei Tattoos schmücken ihren schmalen linken Unterarm bereits. Später wird sie sich ein drittes machen lassen: ein Mund, der eine Rose zwischen den Vampirzähnen hält.

Drinnen ist es eng und wuselig, aber warm. Es gibt Kaffee und Gebäck. Dolores Kittler hat einen ganzen Tag damit verbracht, Muffins zu backen. Die Wittenerin hat eine Dose neben die Leckerlis gestellt, am Ende befinden sich darin 95 Euro.

Kein vergleichbares Verständnis von Haustieren

Der Verein, von dem die ganze Aktion ausgeht, heißt „Taro“, das steht für „Turkish Animal Rescue Organisation“ (Verein zum Schutz türkischer Tiere) – und er kommt eigentlich aus dem schwäbischen Göppingen. „Doch der Kontakt besteht schon lange“, erklärt die erste Vorsitzende Funda Akin, „außerdem ist unsere zweite Vorsitzende, Tanja Römer, Wittenerin.“

Angefangen hat alles vor rund sechs Jahren, als Akin bei einem Türkeibesuch drei ausgesetzte Welpen fand. Die brachte sie zunächst bei einem befreundeten Privatmann im Garten unter. Heute verfügt der Verein über ein Tierheim auf einem 15 000 qm großen Grundstück in Edremit, das der dortige Bürgermeister zur Verfügung gestellt hat. Und warum kümmern sich die Türken nicht selbst um ihre Hunde? „Es gibt dort nicht dieses Verständnis von Haustier wie bei uns“, sagt Akin.

Hübsche Häppchen gab es für die Besucher nach der Behandlung, die manchmal offenbar ganz schön schmerzhaft war.
Hübsche Häppchen gab es für die Besucher nach der Behandlung, die manchmal offenbar ganz schön schmerzhaft war. © Jürgen Theobald (theo)

Bei den Wittenern aber geht der Tierschutz buchstäblich unter der Haut – egal, welcher Nationalität. Sandra Süßmann liegt auf der Liege und lässt sich von Christof Giebe einen Totenkopf in die rechte Wade stechen. Die 44-Jährige hat schon mehrere Tattoos, auf dem Rücken.

Einen Tiger, und eins mit dem Schriftzug „Gott schütze Ciran“. Das ist ihr Sohn. „Klar tut das weh, aber ich finde das eben schön. Der Totenkopf steht für den FC St. Pauli, meinen Lieblingsverein“, sagt die sympathische Wittenerin.

Acht Tätowierer sind am Start

Ein Tattoo kostet je nach Größe zwischen 70 und 250 Euro. Heute sind acht Tätowierer am Start, normalerweise arbeiten bei Rockland fünf. Alle arbeiten entgeltlos. Für jeden Kunden werden etwa eineinhalb Stunden „Behandlungszeit“ eingeplant. „Ich hoffe, das wir auf 2000 Euro kommen“, sagt Günna, Chef von Rockland. „Wenn wir die nicht erreichen, lege ich den Rest drauf.“

Muss er nicht. Als gegen 20.30 Uhr der letzte Tierfreund den Laden verlässt, zählt Günna 35 neue Tätowierungen. Er kommt auf 4100 Euro abzüglich Mehrwertsteuer.

>>> INFO: Tierheim in der Türkei

Das eingenommene Geld wird für den Verputz der Hütten und für neue Dächer verwendet, sagt die erste Vorsitzende Funda Akin.

  • Um die Türken vor Ort für einen menschlicheren Umgang mit Tieren zu sensibilisieren, lädt der Verein Schulklassen und Kindergärten zum Besuch im Heim ein. „Wir zeigen, dass ein Straßenhund ein liebenswertes, treues Familienmitglied sein kann.“