Witten. Traurige Nachrichten für die rund 200 Mitarbeiter des Eisenwerks Böhmer: Für das Unternehmen wurde am 1. Dezember ein Antrag auf Insolvenz gestellt.

Traurige Nachrichten für die Belegschaft des Eisenwerks Böhmer am Mittwochmorgen: Das Annener Traditionsunternehmen hat einen Antrag auf Insolvenz beim Bochumer Insolvenzgericht gestellt. Betroffen sind rund 200 Mitarbeiter.

Der vorläufige Insolvenzverwalter, Dr. Markus Wischemeyer, stellte sich am Mittwoch der Annener Belegschaft vor und informierte diese über das weitere Vorgehen. „Die Löhne und Gehälter für November, Dezember und Januar sind gesichert. Und so wie es jetzt aussieht, wird auch das Weihnachtsgeld gezahlt“, betonte der Bochumer Fachanwalt für Insolvenzrecht. Im Betrieb werde auch weiter gearbeitet.

Erik Böhmer ließ an Mitarbeiter Handzettel verteilen

Wischemeyer erklärte, dass er und seine Kollegen sich jetzt erst einmal einen Überblick über das Unternehmen verschaffen müssten. „Ich habe bereits begonnen, Möglichkeiten für eine Sanierung zu prüfen.“ Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechnet Wischemeyer nicht vor Februar. Erik Böhmer, kaufmännischer Geschäftsführer des in vierter Generation bestehenden Familienunternehmens, spricht von einer seit zwei Jahren „bescheidenen Auftragslage“ und von einem „schwierigen Fahrwasser für die ganze Branche“. Böhmer hatte Handzettel drucken lassen, die am Mittwoch vom Pförtner der Firma nach Schichtende an Mitarbeiter verteilt wurden.

Starke Konkurrenz aus der Türkei

Unserer Zeitung sagte Böhmer, dass man die Firma nicht mehr mit der gesamten Belegschaft werde retten können. „Wir möchten weitermachen, müssen aber aufgrund der Marktlage dringend etwas an der Struktur des Unternehmens ändern.“ Vor drei Jahren habe man mit einem Großkunden ein Viertel des Umsatzes verloren. „Dieser hat uns nicht aus Qualitäts- oder Preisgründen verlassen, sondern weil er jetzt anstatt Guss- Schmiedematerial verwendet.“

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Die 1920 gegründete Annener Firma, die als Gießerei Jahrzehnte Geld mit dem Bergbau verdiente, verkauft heute weltweit Stahlguss-Teile, die etwa in Ölplattformen, Baggern oder Bahnen zum Einsatz kommen. Beim Stahlguss, so Böhmer, gebe es auch starke Konkurrenz in der Türkei.

Lohnverzicht gefordert

Vor einigen Wochen war die Belegschaft von der Geschäftsführung aufgefordert worden, auf fünf Prozent des Lohns, beziehungsweise des Gehaltes zu verzichten. Außerdem sollte das Weihnachts- und Urlaubsgeld für die nächsten vier Jahre gestrichen werden. Im Falle des Scheiterns dieser Gespräche hatte Erik Böhmer eine Insolvenz als den „allerletzten Ausweg“ bezeichnet, einen „Plan B“, „den wir auf jeden Fall vermeiden wollen“.

Im Juni war beim Eisenwerk Böhmer zum ersten Mal öffentlich von Entlassungen die Rede. Betriebsratschef Carsten Ikonomidis sprach von 43 Mitarbeitern, die gehen sollten. Jetzt wurde Insolvenz beantragt – und es geht um alles.

Am 13. August, so Lars Beez, politischer Sekretär der IG Metall, hätten der Betriebsrat und die IG-Metall Erik Böhmer einen Vorschlag für ein Sanierungskonzept vorgelegt. Er habe diesen abgelehnt. Beez: „Im August war dann nur noch von einer Entlassung von neun Mitarbeitern die Rede.“ Erik Böhmer am Mittwoch: „Zu diesem Zeitpunkt hatten wir eine kurzfristige Belebung der Konjunktur.“

Wahl zwischen „Pest und Cholera“

Am 25. September wurde der Haustarifvertrag gekündigt, der für die meisten Böhmer-Mitarbeiter gilt. Beez: „Darin stand auch, dass der Betriebsrat und die IG-Metall betriebsbedingten Kündigungen zustimmen müssen. Durch die Kündigung des Haustarifvertrags muss die Geschäftsführung nur noch mit dem Betriebsrat verhandeln.“

Im November habe man dann nur noch zwischen „Pest und Cholera“ wählen können. Die Forderung der Geschäftsführung sei gewesen, dass die Belegschaft auf fünf Prozent des Lohns, beziehungsweise des Gehalts verzichten solle. „Außerdem sollte das Weihnachts- und Urlaubsgeld für die nächsten vier Jahre gestrichen werden.“ Die Böhmer-Mitarbeiter hätten zu diesem Zeitpunkt schon zehn Prozent weniger verdient, als im Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie vorgesehen sei. Der Gewerkschafter: „Hätte man weiter verzichtet, hätten die Leute 15 Prozent weniger gehabt.“

Man habe auch das Sanierungskonzept der Geschäftsführung geprüft und sei der Ansicht, dass dieses „mit einer heißen Nadel“ gestrickt worden sei und wenig Zukunft biete. Am 24. November hätten sich Geschäftsleitung, Betriebsrat und IG Metall zur Aufnahme von Verhandlungen über das von der Geschäftsleitung vorgelegte Zukunftskonzept getroffen, sagt Erik Böhmer.

Erik Böhmer: Antrag auf Insolvenz bedeutet nicht das Ende

Patrick Ziegler, Ökonom und Berater des Betriebsrates, habe bestätigt, dass die Geschäftsleitung „die Ist-Situation“ des Unternehmens richtig dargestellt habe. Auch Ziegler habe auf die dringende Notwendigkeit von Strukturveränderungen in der Firma hingewiesen.

Böhmer betont auf dem Handzettel, den er gestern an die Mitarbeiter verteilen ließ, auch, dass die Aufnahme von Gesprächen zu einem Sanierungstarifvertrag – „mit den Inhalten Entgeltverzicht sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeldverzicht“ – daran scheiterte, dass man sich nicht auf eine „Fälligkeitsverschiebung“ für das Weihnachtsgeld 2015 habe verständigen können.

Der Antrag auf Insolvenz bedeute jetzt jedoch nicht das Ende. Erik Böhmer: „Wir wollen als Gesellschafter am Standort in Witten weiter Guss produzieren und bearbeiten. Dazu müssen wir aber andere Strukturen schaffen, die der Zeit entsprechen.“