Bochum-Wattenscheid. Die indische Glaubensgemeinschaft der Sikhs hat einen eigenen Tempel in Bochum. Er liegt versteckt auf einem Hinterhof. Gäste sind willkommen.
In Bochum-Wattenscheid gibt es seit mehr als sieben Jahren einen Sikh-Tempel, doch davon wissen nicht viele. Dabei würde die Gemeinde sich der Nachbarschaft gerne mehr zeigen. Jetzt hat die katholische Erwachsenen- und Familienbildung im Bistum Essen einen Besuchertag organisiert. Die WAZ war dabei und bietet ein paar seltene Einblicke.
Besuch im Tempel: Seltene Einblicke in die Welt der Sikh
Die Eingangshalle ist mit Teppich ausgelegt, es riecht nach würzigem Essen und an den Wänden stapeln sich hohe Regale, die schon gut mit den Schuhen der Besucherinnen und Besuchern gefüllt sind. Es ist der bis jetzt größte Besuchertag, den es im Sikh-Tempel Darbar Shri Guru Granth Sahib in Wattenscheid gegeben hat. Man will sich öffnen, der Nachbarschaft und am liebsten gleich der ganzen Welt. Denn darum geht es den Sikhs.
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„Vor der Religion ist jeder zuerst Mensch“ ist ein Satz, der an diesem Abend häufig ausgesprochen wird, von den Gemeindemitgliedern und vor allem von Paramjot Singh. Der 21-jährige ist Vorsitzender der DSU, der Deutschen Sikh-Union, und führt durch den Abend. Und er stellt gleich zu beginn klar: „Das Wort Tempel ist eigentlich irreführend. Das hier ist ein Gebetshaus. Jede Religion ist eingeladen, hier zu beten und zu meditieren.“ Während er spricht, sitzen vor ihm rund 30 Interessierte an Tischen in einem kleinen Raum neben der Eingangshalle.
Die dreistündige Veranstaltung beginnt fast einem Universitätsseminar gleich mit einer Power-Point-Präsentation über die Sikh-Religion. Der Sikhismus ist eine eigenständige Religion, die im 16. Jahrhundert in Punjab, Indien entstanden ist. Sikhs glauben an eine allmächtige Kraft und an das Göttliche in jedem. Ihre Glaubenssätze: Humanität, Meditation und Gleichberechtigung der Geschlechter.
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Sikhs kann man schon am Namen erkennen: Männer tragen den Nachnamen Singh, Frauen Kaur. Auch optisch sind Sikhs leicht zu identifizieren: Die Männer tragen Turbane und lange Bärte, denn das Schneiden der Haare ist verboten.
Zum Vortrag werden süßer Gewürztee und traditionelle Vorspeisen aus gebackenen Zwiebeln und Kartoffeln gereicht. Überhaupt, verhungern müssen die Besucherinnen und Besucher an diesem Abend nicht, zu jedem Programmpunkt wird etwas serviert.
Sikh-Tempel in Bochum-Wattenscheid: Nachbarn sind neugierig
Für viele Besucherinnen und Besucher ist die Sikh-Religion etwas Neues. So auch für Stefan Weiß (60), Architekt. „Ein befreundeter Nachbar ist Teil der Gemeinde und hat mich eingeladen. Ich möchte mehr über die Sikhs erfahren“ erzählt er. Neugier ist für viele der Grund, heute zu kommen. Eine Frau im Publikum sagt: „Ich wohne direkt nebenan und habe mich sonntags immer gefragt, was hier los ist.“ So scheint es vielen zu gehen. Zumal der „Tempel“ auch etwas versteckt in Hallen auf einem Hinterhof der Hansastraße 43-49 liegt.
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Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Gemeinschaft sich absichtlich zurückzieht, sondern vor allem an ihrer Größe: Sie umfasst nur etwa 70 Mitglieder aus ganz Bochum. Deutschlandweit gibt es circa 30 Tausend Sikhs.
Nach dem Vortrag geht es in den Gebetsraum, der vollständig weiß ausgekleidet ist. Zwei Musiker spielen auf traditionellen Instrumenten und singen dazu. Ein einen orangenen Turban tragender Mann schlägt eine Tabla, eine Trommel mit glucksendem Klang. Dazu spielt ein Harmonium, der Raum füllt sich mit einer rhythmischer Musik. Nach und nach steigen Gemeindemitglieder in den Gesang ein. Alles wirkt entspannt, freundlich. Ungezwungen spielen Kinder im Raum, junge Frauen wippen zum Rhythmus des Gesangs, manche lehnen an der Wand.
Sikh-Tempel in Bochum: Essen fast so wichtig wie das Gebet
Ein Gramti, eine Art Priester, sitzt vor dem Shri Guru Granth Sahib, der heiligen Schrift. Dass alle anwesenden Gramtis Männer sind, ist Zufall, denn auch Frauen können Gramtis werden. „Die Gleichberechtigung der Frau ist uns sehr wichtig“ sagt Paramjot Singh.
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Trotzdem müssen Frauen und Männer im Gebetssaal auf getrennten Seiten sitzen. Wie passt das zusammen? „Es passiert auch schon mal, dass Frauen und Männer zusammen sitzen bleiben.“ Und Personen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen? „In der heiligen Schrift wird darüber nicht gesprochen. Deswegen kann man sich in dem Fall einfach dort hinsetzen, wo man möchte.“
Zum Abschluss gibt es noch eine gemeinsame Mahlzeit. Man merkt, Gäste und Gemeinde werden warm miteinander. Daljet Kaur Purewal (21) erzählt enthusiastisch von der Verpflichtung, Gutes zu tun. Wie das in der Zeit des Klimawandels aussieht? „Wir glauben, dass die Natur so viel mehr mit dem Menschen verbunden ist, als man sieht“ sagt sie. „Daher ist es sehr wichtig, dass man dazu beiträgt, sie zu schützen.
Sikh-Gemeinde in Bochum klagt über Ausgrenzung und Diskriminierung
Auch wenn es in Wattenscheid heute sehr harmonisch hergeht, ist es für Sikhs in Deutschland nicht immer leicht. „Wir haben mit Ausgrenzung, Mobbing und Diskriminierung zu tun“ sagt Paramjot Singh. „Deswegen leisten wir mit unserem Verein Aufklärungsarbeit, beispielsweise in Schulen.“ Ein Umstand, der diese Arbeit erschwert: Die Sikh-Religion ist in Deutschland keine anerkannte Religion ist. Eine solche Anerkennung würde die Sikh-Gemeinschaft vor Diskriminierung schützen.
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Bis es jedoch so weit ist, werden Gemeinden wohl selbst weiter die Bevölkerung aufklären müssen. Und Aufklärung wurde an diesem Mittwoch Abend definitiv geleistet, in seiner schönsten Form. Die Besucherinnen und Besucher gehen satt und glücklich nach Hause. Und das nicht ohne eine Einladung, wieder zu kommen: Bei den Sikhs ist jeder willkommen – geöffnet ist von Montag bis Freitag zwischen 10 und 19 sowie am Sonntag zum Gebet von 11 bis 14 Uhr.