Wattenscheid. Viele Wattenscheider können es nicht glauben: Herbert Müller schließt seine Kult-Metzgerei an der Hochstraße. Er sieht sich dazu gezwungen.
Er stand in den letzten Wochen oft von 3 Uhr morgens bis spät abends in der Metzgerei, um den Betrieb noch aufrecht zu erhalten. Doch nun sind auch die Kräfte von Metzger Herbert Müller aufgebraucht. „Es geht nicht mehr“, sagt der 68-Jährige, der vor 51 Jahren seine Lehre begann und in dritter Generation das Unternehmen seines Vaters übernahm. Das Eckgeschäft im braunen Klinkerstil an der Hochstraße in Wattenscheid – bald wird es leer stehen.
Wattenscheider Kult-Metzger sieht sich zum Aufhören gezwungen
„Schweren Herzens müssen wir schließen“, so Müller, der das Gesicht der Metzgerei war. Grund für das Aus ist Personalmangel: „Schon seit zwei Jahren fehlen mir zwei Gesellen“, klagt der Metzger. Als sich nun auch noch ein Mitarbeiter beruflich weiterentwickeln wollte, spitzte sich die Situation weiter zu.
Dabei wollte Herbert Müller eigentlich seinem Sohn Jan-Marius zum 1. September die Metzgerei übergeben, so wie auch er selbst einst die Metzgerei von seinem Vater übernommen hatte. Junior Müller hatte erst vor kurzem seine Meisterprüfung im Fleischerhandwerk bestanden, war somit eigentlich bereit, den Betrieb mit Inbrunst weiterzuführen.
Nun jedoch verabschiedet sich die Fleischerei bereits am 18. Juli in die Sommerferien – ohne danach wiederzueröffnen. Den Mitarbeitern aus dem zuletzt noch achtköpfigen Team musste der Metzger kündigen. „Ohne genügend Arbeitskräfte kann das Unternehmen nicht fortgeführt werden“, bedauert Müller, hörbar getroffen.
Anfänge als „Wattenscheider Fleisch- und Wurstzentrale“
Grund dafür dürfte nicht nur die lange Traditionsgeschichte des Familienunternehmens sein, die 1924 mit seinem Großvater Philipp Müller und dessen „Wattenscheider Fleisch- und Wurstzentrale“ begann. Der gebürtige Rheinhesse hatte eigentlich geplant nach Amerika auszuwandern, doch der Liebe wegen blieb er in Wattenscheid.
Seitdem ging der Weg der Metzgerei an der Hochstraße steil bergauf: Heute ist die Metzgerei mit der Fleischwurst im Logo über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, wird regelmäßig vom „Feinschmecker“ zu den 400 besten Metzgereien in Deutschland gezählt. „Wir haben immer nur für uns produziert und über die Theke verkauft“, berichtet Müller stolz.
Auch interessant
Hausgemacht gab es für Kunden im Boutiquencharakter alles von Teewurst bis Zungenwurst, nicht wenige Freundschaften entstanden so. Der Schock der Kunden über die im Schaufenster bekanntgemachte Schließung sitzt deshalb tief. „Wir sind seit 30 Jahren Kunden und sind entsetzt“, sagen etwa Eva und Peter Falk. Besonders der Fleischsalat sei „der Knaller schlechthin“, meint Peter Falk, Ehefrau Eva Falk liebt besonders die Rouladen und Mettwürstchen. „Auf dem Markt hat er die längsten Warteschlangen, weil er die persönliche Beziehung zu seinen Kunden pflegt“, sagen die Falks. Nicht nur die Metzgerei bestehe seit Generationen, auch Kunden kämen in der zweiten Generation.
In der Facebook-Community daher ein ähnliches Bild: Die Nutzer bedanken sich für „Wurst und Fleisch der absoluten Extraklasse“, das „auf dem Frühstückstisch, in der Pfanne und im Ofen“ nun ebenso schmerzlich vermisst werde wie die „Gespräche, obwohl die Schlange schon murrte“. Nutzer Jörg Kranke schreibt beispielsweise: „Ich bin wirklich sehr traurig. Ich war mit meiner Mutter bei Ihnen und bin mit meinem Sohn gekommen. Und sie haben uns mit Namen begrüßt.“
Bald keine Bestellungen mehr
Die Metzgerei Müller befindet sich an der Hochstraße 88, zwischen Mollestraße und Harkortstraße. Das Unternehmen schließt zum 18. Juli 2020. In der Woche ab dem 13. Juli können keine Bestellungen mehr entgegengenommen werden.
Waren von Müller wurden auch von der „Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft“ (DLG) prämiert. Dafür müssen sie sich einer sensorischen Analyse und Laboruntersuchungen unterziehen.
Ramona Aschemann pflichtet bei: „Eure Fleischwurst, der Eiersalat, die Blutwurst, der Hackbraten, ach man kann gar nicht alles aufzählen, was uns von Euch so vorzüglich geschmeckt hat. Es ist wie ein Teil unserer Familie, der jetzt geht.“ Facebook-Nutzerin Renate Happe beschließt: „Da ich wenig Wurst esse, weil sie von woanders nicht schmeckt, werde ich wohl Vegetarierin werden.“
Auch interessant
Ob noch eine Chance besteht, dass Müller doch weitermacht? „Die Sache ist nun beschlossen“, meint der Metzger selbst. Die Maschinen für zwei, drei Würstchen für den privaten Grillabend noch einmal anzuschmeißen, das lohne sich wohl nicht. Nun brauche er erst einmal Zeit zum Durchatmen. Danach halte er es aber wie sein eigener Vater, der habe immer gesagt: „Ich habe über 40 Jahre gestanden, da kann ich morgen keine Rosen pflanzen.“
Weitere Nachrichten aus Wattenscheid lesen Sie hier.