Wattenscheid-Mitte. Neun historische Grabsteine an der Alten Evangelischen Kirche im Wattenscheider Zentrum werden zu Lebens-Steinen. Die Gestaltung nimmt Form an.
Steine erzählen Geschichten, und Stein um Stein entstehen Gebäude, Gemeinden, Siedlungen. Die stummen und steinernen Zeugen der Ortsgeschichte hebt die Evangelische Kirchengemeinde Wattenscheid wieder in den Blickpunkt, sie werden damit auch zu Wegsteinen bei der Gestaltung der Gemeinde am Zentrum an der Alten Kirche. „Lebenssteine“ sollen die insgesamt neun historischen Platten und Quader werden, die an den historischen Kirchhof erinnern.
Damit kommen die Steine aus dem 19. Jahrhundert zu neuen Ehren und schlagen eine Brücke in die Vergangenheit, markieren gleichzeitig einen nächsten Schritt der Entwicklung. „Mit dem Frühlingsfest haben wir das nördliche Außengelände eröffnet unter erfreulich großer Beteiligung vieler Menschen aller Altersgruppen aus Stadt und Gemeinde. Dabei haben wir auch wieder deutlich gemerkt, wie kostbar und einzigartig unser offenes Gelände in der sehr zugebauten Stadtmitte ist und wie wichtig es ist, hier auch gestalterisch Offenheit zu pflegen“, erläutert Pfarrer Frank Dressler, „aber auch, welche Verantwortung sich aus dem Areal im Zentrum Wattenscheid ergibt“. Beim bewusst offen gehaltenen Familien-Erntedankfest im vergangenen Herbst zeigte sich allein durch den durchgehenden Betrieb in Kirche, Gemeindezentrum und eben auf dem Außengelände erneut, wie gut solche Angebote angenommen werden.
Begegnungsfläche mit offenen Angeboten
Das gut 600 Quadratmeter große Freigelände stellt die einzige freie Grünfläche in der zentralen Innenstadt dar. Hier entstanden ein Holzbackofen, Grill und Pavillon, gefördert aus dem Verfügungsfonds der Sozialen Stadt. Weitere Maßnahmen sollen möglichst bald folgen, wie Bäume zu pflanzen, eine Beleuchtung und eine Weg anzulegen. Dieses Areal soll eine Begegnungsfläche werden und mit vielfältigen Projekten allen Interessierten offen stehen. Dressler: „Wir sollen und wollen Pilotprojekt der Landeskirche für das Format ,messy church’, ,Kirche Kunterbunt’ werden. Das umfasst ein monatliches Angebot sonntags nachmittags mit Essen und Begegnung, Kreativität und Spiritualität, und das alles unter unseren besonderen Bedingungen als soziokulturelles Zentrum mit geistlicher Mitte.“
400 Jahre Gemeindegeschichte
Pfarrer Frank Dressler beschreibt im Konzeptentwurf „Mitten in Wattenscheid – mitten im Leben. Profile evangelischer Gemeindearbeit in Wattenscheid-Mitte“, dass die Evangelische Kirchengemeinde in ihrer gut 400-jährigen Geschichte viele Veränderungen erlebt hat, so auch in den letzten Jahren im Bereich Wattenscheid-Mitte: Alle vier Gemeindehäuser, das Gemeindezentrum Westenfeld, das Voede-, das Albert-Schweitzer-und schließlich das Ludwig-Steil-Haus, wurden von 2008 bis 2015 geschlossen und die Arbeit in der Wattenscheider City neu zusammengefasst und ausgerichtet.
Die Alte Kirche am Markt von 1763 ist baulich und konzeptionell erweitert und belebt worden. Das neue Gemeindezentrum wurde 2015 eröffnet. Die Grabsteine stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie waren ursprünglich wohl auf einem mittlerweile nicht mehr existenten Friedhof der Gemeinde aufgestellt. Die auf ihnen benannten Personen scheinen demnach in der Wattenscheider Geschichte keine prominente Rolle gespielt zu haben, ein Benannter könnte der Familie des damaligen Bürgermeisters, des Amtmannes Theodor Cöls, angehört haben.
2017 feierten die vier evangelischen Kirchengemeinden Wattenscheid, Günnigfeld, Höntrop und Leithe am Pfingstwochenende ihren Zusammenschluss zur neuen Evangelischen Kirchengemeinde Wattenscheid „ekiwa“.
Ein erster Entwurf des Baureferats der Landeskirche und dem Künstler und Steinmetz Martin Künne aus Gelsenkirchen sah vor, die Grabsteine um den mittig aufgestellten Taufstein aufzustellen, ergänzt durch ebenfalls steinerne Sitzgelegenheiten. Der ehemalige Taufstein aus der Alten Kirche, der aus dem Jahr 1966 stammt und nicht denkmalgeschützt ist, sollte demnach mit in die Gestaltung einbezogen werden.
„Davon haben wir wieder Abstand genommen“, schildert Dressler, „denn es sollte einfach nicht wie eine Kultstätte oder ein Friedhof aussehen“. In der Alten Kirche wird das Taufbecken aus dem aufgegebenen Ludwig-Steil-Haus genutzt. Der Taufstein im Innenhof zwischen Kirche und Gemeindezentrum kann unter Umständen als Brunnen umgestaltet werden.
Steinmetz Martin Künne stellte bei seiner ersten Untersuchung fest, dass einige der historischen Grabsteine für eine sichere vertikale Aufstellung nicht mehr geeignet sind, da die Verwitterung des Materials (Ruhrsandstein) eine Verankerung des Sockels im Boden nicht möglich macht. Er empfiehlt deshalb die liegende Platzierung wie bei dem größten Grabstein, der Doppelgrabplatte.
Gestaltete Plättchen auf einem Findling
Den Charakter der „Offenen Gemeinde“ in dieser „Kirche ohne Dach“ (Dressler) soll ein weiterer, ein neuer Lebens-Stein unterstreichen. Ein etwa ein Meter hoher Findling soll dazu von vielen Menschen in einem offenen Projekt selbst gestaltet werden. „Dazu kann dann jeder eine kleine Steinplatte unter Anleitung von Martin Künne sandstrahlen. Diese Steinplatten werden anschließend mit Steinkleber auf den Findling aufgebracht“, beschreibt der Pfarrer das Konzept.
Der Lebens-Stein bildet somit Menschen der Jetzt-Zeit aus Wattenscheid ab und ergänzt die historischen Grabsteine. Mitarbeiter des Heimat- und Bürgervereins forschen über die auf den Grabsteinen genannten Personen und die damalige Geschichte. Bei der Eröffnung des Geländes vor der Westfassade der Kirche sollen die Ergebnisse präsentiert und die Geschichte und Menschen lebendig und erfahrbar werden.