Wattenscheid-Mitte. Das „Kuratorium Stelen der Erinnerung“ gedenkt mit Bürgern der Opfer der Shoa. Mahnende Worte bestimmen die Reden der Teilnehmer in Wattenscheid.
Drei Töne erklingen monoton zu Beginn jeder Strophe. Sie charakterisieren die Öde und Schwere, die aussichtslosen Bedingungen, unter denen die Moorsoldaten leben mussten. Erst am Ende ihres Liedes ringt sich Hoffnung durch; auf das Ende der Diktatur und ein Leben in Freiheit.
Es ist traurige Tradition geworden, dass zu Beginn der Gedenkveranstaltung anlässlich der Reichspogromnacht „Das Lied der Moorsoldaten“ erklingt. Knapp 30 Stimmen unterstützten Christel Sehrig und Bernd Albers auf dem Nivellesplatz. Das „Kuratorium Stelen der Erinnerung“ gedachte dort gemeinsam mit Bürgern und der lokalen Politik am Freitag (8.) der Opfer der Shoa.
Schulen in der Pflicht
Damit sich erinnert wird, müsse die Geschichte schulisch aufgearbeitet werden, sind sich Felix Lipski, Bernd Albers (ehemaliger Hauptschullehrer) und Sonja Lohf (Die Grünen) einig.
Lohf besuchte die Geschwister-Prenski-Schule in Lübeck: „Bereits in den fünften Klassen gibt es dort Projektgruppen zur NS-Zeit. Auch wenn es hart ist – es hilft enorm, um besser nachempfinden zu können.“
Vorgezogen wurde die Veranstaltung im 81. Jahr des Gedenkens, damit die jüdische Gemeinde teilnehmen konnte. Der 9. November ist Sabbat – ein Ruhetag. So wurde sichergestellt, dass die Teilnehmer gemeinsam das „Kaddisch“ (Heiligungs- bzw. Totengebet) aufsagen konnten.
Kränze werden niedergelegt
Der Zug der Teilnehmer setzte sich unter dem Glockengeläut der evangelischen Friedenskirche um 12 Uhr am Saarlandbrunnen in Bewegung. Von dort ging es mit Kränzen zum Nivellesplatz, im Schatten der katholischen Propsteikirche gelegen, wo seit zehn Jahren die „Stelen der Erinnerung“ stehen. Angeregt durch Hannes Bienert, dessen Engagement immer wieder hervorgehoben wurde, tragen sie die Namen der 87 ermordeten Wattenscheider jüdischen Glaubens während der NS-Diktatur.
„Ja, es muss sein“
Felix Oekentorp, Vorsitzender des Kuratoriums, dankte in seiner Eröffnungsrede unter anderem der Bezirksvertretung. Diese hatte die Stelen zuvor mit neuer Beleuchtung ausgestattet. Die Namen sollen immer sicht- und lesbar sein. Dem Vergessen müsse etwas entgegengesetzt werden, so der Vorsitzende. Auf die Frage, ob man denn auch immer wieder an die Gräuel und Verbrechen erinnern müsse, hat er eine klare Antwort: „Ja, es muss sein. Die Wahlergebnisse sind bedrohlich, der Angriff in Halle erschüttert. Wir haben noch viel Aufarbeitung vor uns – eine große Aufgabe.“
„Die Erinnerung muss das Vergessen besiegen“
Die Schicksale vieler ermordeter Wattenscheider beleuchtete Stadtarchivar Andreas Halwer in einer ergreifenden Rede: „Das Grauen, das die Opfer der NS-Diktatur erleiden mussten, ist unvorstellbar. Unvorstellbar auch, dass Menschen ihren Mitmenschen dieses Leid zugefügt haben. Und genauso, dass auch heute noch immer wieder rechtsextreme Parolen verbreitet werden.“
Nachdem Alina Röllke das Gedicht „Todesfuge“ von Paul Celan vortrug, richtete Felix Lipski das Wort an die Gäste: „Ich bin Holocaust-Überlebender und Augenzeuge. 25 Familienmitglieder – Kinder, Frauen, Männer – habe ich verloren, hunderte Leichen auf den Straßen im Ghetto in Minsk gesehen. Die Geschichte lehrt uns, wach zu sein.“ Auch ein Hannes-Bienert-Zitat wurde wieder laut: „Die Erinnerung muss das Vergessen besiegen.“