Datteln/Haltern . Eine Handvoll Mensch: Die Frühchen Sofi und Luca aus Haltern sind zum Fest daheim – für Mutter Viktoria Brejm das größte Glück. Sie wiegen inzwischen mehr als zwei Kilo, wenn auch immer noch eines weniger als im Januar beim regulären Geburtstermin zu erwarten gewesen wäre, und es fehlt ihnen nicht mehr viel zu einem halben Meter

Eigentlich sind sie noch gar nicht da: Sofi und Luca aus Haltern. Ihren Geburtstermin haben sie am 7. Januar. Doch sie kamen schon Anfang November auf die Welt, zehn Wochen zu früh und nicht einmal halb so schwer, wie Babys normalerweise sind. Zu Weihnachten dürfen sie aus der Klinik nach Hause: „Das größte Geschenk“, sagt die Mutter, „das man machen kann.“

Wie winzig sie sind. Luca links im Babybettchen mit seiner kleinen Steckdosen-Nase, Sofi rechts, eine zartere Kopie ihres Bruders. Wie Puppen liegen sie Seite an Seite in tiefem Schlummer. „Wie kleine Vögelchen im Nest“, wundert sich Viktoria Brejm. Dabei hat sie ihre Kinder noch kleiner gesehen seit jenem 2. November zur Mittagszeit. Das Mädchen kam eine Minute vor Zwölf, 1430 Gramm, nicht einmal 40 Zentimeter; es ist die große kleine Schwester. Denn Luca holten sie zwei Minuten später, 140 Gramm schwerer, einen Zentimeter länger.

Es gibt Bilder aus den ersten Tagen, sehr viel rote Haut an sehr wenig Kind, überall Schläuche und Kabel, die weiße Windel geht Luca bis zu den Füßen. Auf einem Foto trägt er eine rote Mütze, ein winziges Weihnachtsmännchen im Advent, das in Papas Fingern ruht: eine Handvoll Mensch. Aber zwei Herzen voll Glück. Viktoria und Max Brejm planten ein Wunschkind, „aber dann sind es zwei geworden“.

„Das war schön, sofort im Doppelpack“

Sie wussten es schon in der 14. Schwangerschaftswoche: Ein Junge und ein Mädchen würden es werden, „das war schön, sofort im Doppelpack“, sagt Viktoria, sie haben sonst keine kleinen Jungs in der Familie. Doch dann kam die 25. Woche und mit ihr der erste Schub vorzeitiger Wehen. Die Versicherungskauffrau musste ins Bett und strikt dort bleiben; „eine harte Zeit“, sagt sie heute, „aber es hat sich gelohnt“. Damals schon war zu ahnen: Dies würden keine Neujahrskinder werden, spätestens Weihnachtsgeschenke, aber dann drohte eine Infektion. Es war ein Freitag, als die Ärzte die Zwillinge holten, und die Eltern wussten, was sie erwarteten: ganz besonders kleine Wesen, „nicht wie ein normales Kind“.

Es kamen Sofi und Luca, „nur Haut und Knochen, überhaupt keine Fettpölsterchen“. Aber, oh Wunder der Natur, mit zehn Fingern und zehn Zehen, alles dran! Zu schwach waren sie noch, um selbst zu trinken, die Lungen zu schlapp, um eigenständig zu atmen – doch da tat die kleine Sofi einen lautstarken Schrei, Luca „pieselte die Ärztin an“, und Viktoria Brejm „wusste, dass das Kämpfer sind“. Es war ihr ein tröstlicher Gedanke in den ersten Wochen voller Sorgen: „Überlebt das Kind das, ist es auch wirklich gesund?“

Rund um die Uhr überwacht

Für Eltern ist eine solche Situation angespannt, weiß Chefärztin Claudia Roll, obwohl die Zwillinge „für uns schon relativ groß sind“. Die Professorin holt in der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln auch Babys auf die Welt, die ein Drittel von Lucas Geburtsgewicht haben: Ebenfalls in der Woche vor Weihnachten entließ sie ein Frühchen, das überlebte mit 580 Gramm – wenig mehr als zwei Päckchen Butter.

Auch interessant

„Die Lunge ist zum Atmen noch nicht gemacht“, wenn die Kleinen so viel zu früh geboren werden, und selbst wenn sie allein Luft holen, „machen sie gern mal ein Päuschen“. Deshalb und auch wegen der Keime, die es in Mamas Bauch nicht gab, werden die Kinder rund um die Uhr überwacht.

Also lagen auch Sofi und Luca in ihren Brutkästen, eins links, eins rechts und in der Mitte die Mutter in ihrem Bett; sie hatte ja einen Kaiserschnitt hinter sich. Luca tat, was er bis heute tut: Meistens schläft er. Und Sofi, die turnte schon im Brutkasten und gibt neuerdings „die Zic­ke, da habe ich Spaß“, sagt Viktoria Brejm. Überhaupt kann das was geben, daheim im gelb gestrichenen Kinderzimmer, das Vater Max allein einrichten musste: „Das wird ein Kulturschock“, ahnt auch Chefärztin Roll, „aus der behüteten Situation in der Klinik auf einmal in die volle Verantwortung.“

Endlich die neue Familie um sich haben

Viktoria aber wollte es so: „Vor Weihnachten, das habe ich mir gewünscht.“ Die junge Mutter will sich Zeit nehmen und Zeit geben und endlich ihre neue Familie um sich haben. „Die beiden gehören“, auch nach der langen Zeit im Krankenhaus, „schon so richtig dazu.“ Sie wiegen inzwischen mehr als zwei Kilo, wenn auch immer noch eines weniger als im Januar zu erwarten gewesen wäre, und es fehlt ihnen nicht mehr viel zu einem halben Meter.

Heiligabend sind Brejms „zu viert zu Hause, kein Besuch, nichts“. Päckchen wird es wohl auch nicht geben, wann hätten die Eltern sich darum kümmern sollen, zumal: Kinderwagen, Kinderbettchen, Kinderkleider – hat schließlich alles gekostet, und bei ihnen doppelt. Das Wesentliche aber ist: Die beiden Babys in ihren gepunkteten Stramplern, auf jedem Arm eines, „sind Weihnachtsgeschenke genug“.