Recklinghausen. . Im WAZ-Interview sieht Dr. Frank Hoffmann Russland im Aufbruch – fürchtet aber keinen „Aufruhr“ im Publikum. Er freut sich auf spannende Aufführungen.
In Luxemburg probt Dr. Frank Hoffmann derzeit noch den „Revisor“, seine Inszenierung zur Eröffnung der 66. Ruhrfestspiele unter dem Motto „Im Osten ‘was Neues“. Ein Telefon-Interview mit dem Intendanten der Ruhrfestspiele.
Kommen wir gleich zum großen Thema dieser Spielzeit: Waren Sie selbst kürzlich in Russland?
Nein, ich habe noch nicht die Gelegenheit gehabt. Aber ich habe meine Spione unter russischen Künstlern.
Sehen Sie aus Ihren Gesprächen Russland eher im Aufbruch oder befürchten Sie Stagnation?
Ich glaube schon, dass Vieles im Aufbruch ist. Die Selbstverständlichkeit ist weg für alles, was vor zwei Jahrzehnten noch als starr und unverrückbar galt. Ich sehe es anders als im Iran, wo der Aufbruch vor zwei Jahren zum Schweigen gebracht wurde. Russland ist da doch näher an Europa. Die Menschen sind unruhig und neugierig.
„Der Revisor“, Ihre Inszenierung zum Auftakt, kritisiert den Untertanengeist. Ist das nicht eher eine deutsche Untugend gewesen?
(lacht) Da treffen sich dann wohl die beiden Kulturen. Dieser Geist war auch in Russland sehr ausgeprägt. Es gab so viele Klassen und Titel – ein unglaubliches Gewebe von Hierarchien. Das können wir uns fast nicht mehr vorstellen. Andererseits vergessen wir, dass es heute nicht ganz anders ist. Die Demokratie versteckt ihre Bürokratie etwas besser. Wir sind heute nicht so weit von Gogol entfernt.
Ob bei Gogol, Puschkin oder Tolstoi: die Biografien der russischen Literaten scheinen die noch größeren Dramenstoffe zu sein?
Ja, es wären Theaterstoffe – oder noch mehr. Nikolai Gogol wäre eine Figur für einen Roman: ein nicht sehr schöner Mann, der vielleicht nie eine Frau hatte, aber ein hoch angesehener Dichter. Er hat sich zu Tode gehungert – es war seine Entscheidung – und er verbrannte sein letztes Werk. Da ist eine große Ähnlichkeit zu Franz Kafka, dessen Werke ja von Max Brod gerettet wurden. Überhaupt ist für mich Gogol der Kafka des frühen 19. Jahrhunderts.
Den größten russischen Romanstoff, „Krieg und Frieden“ bringt ja wieder das Team von „Paris, Texas“ nach Recklinghausen. Wollten Sie ein bisschen den Aufruhr im Publikum kitzeln?
Es wird sicher ein sehr ungewöhnlicher Abend. Einen Regisseur wie Sebastian Hartmann schätzt man ja für seine neuen Sichtweisen. Und dass Heike Makatsch wieder dabei ist, zeigt ja, wie sehr auch sie dieses Leipziger Team schätzt. Das heißt ja nicht, dass die Zuschauer, denen „Paris, Texas“ nicht gefallen hat, wieder in Aufruhr geraten. Vielleicht sind sie begeistert. Wim Wenders ist ja nicht Tolstoi. Aber es „kitzelte“ mich schon, wieder eine Begegnung mit dem Centraltheater zu organisieren.
Zählt für Sie der gebürtige Ungar George Tabori auch zum Blick nach Osten – oder ist sein rauer Humor eher amerikanisch?
Nein, dieser Humor ist zum Glück nicht amerikanisch. Tabori hat vor allem jüdischen Humor. Seine Leichtigkeit jedoch, die ist völlig un-östlich. Es ist die Mischung, die auch den Tabori von „Abendschau“ ausmacht: Es ist so komisch und zugleich so traurig!
Ist es das erste Mal, dass Sie mit Nico Helminger einen Autor aus Ihrem Heimatland Luxemburg vorstellen?
Ja ganz genau, ich dachte, nach so vielen Jahren dürfte ich das. Nico Helminger erhielt den Luxemburger Nationalpreis; er ist ein Autor, der sich sehr entwickelt hat. Er stammt aus dem kleinen Luxemburger „Ruhrgebiet“. Seine neuen Werke kreisen um Fragen der Identität, des Verlusts an sich selbst in der virtuellen Welt. „Zu schwankender Zeit und an schwankendem Ort“ ist ein seltsamer Tanz.
Vom Theaterzelt sind’s ja nur ein paar Schritte zu den zwei Fringe-Zelten. Soll Fringe denn noch weiter wachsen?
Es hat schon eine gewisse Größe erreicht. Aber man sagt niemals nie. Es muss immer Möglichkeiten der Veränderung geben, auch die, weiter zu wachsen. Fringe ist ja kein Vorverkaufs-Festival. Trotzdem sind die Zahlen bereits sehr ermutigend. Wir setzen aber weiter auf die Mund-zu-Mund-Propaganda unserer Gäste.
Der internationale Star der 66. Ruhrfestspiele, Cate Blanchett, kommt mit Botho Strauß’ Gesellschaftsbild der alten Bundesrepublik aus Australien. Muss man da (mit dem berühmten Filmtitel) nicht „Lost in Translation“ befürchten?
Ich habe die Aufführung gesehen. Cate Blanchett ist eine unglaubliche Schauspielerin. Ich habe zu ihr gesagt: „You are like a clown“ – das finde ich heute noch. Sie ist so vielfältig, so spielerisch. Wenn Sie den Coppola-Film zitieren, dann gilt: „Won in Translation“ – diese Inszenierung gewinnt. Es ist auch unsere Aufgabe als Ruhrfestspiele, so ein wichtiges Werk wie „Groß und Klein“ wieder zu uns zu holen. Das Stück ist nicht gealtert seit den 1970er Jahren. Es könnte auch heute spielen.
Die letzte Frage: Haben Sie auch einen Geheimtipp?
„Der Meister und Margarita“ muss man sich anschauen. Es ist der „Faust“-Stoff in der Sowjetunion der 1940er Jahre. In Russland ist es ein Klassiker. Simon McBurney aus England hat es verwandelt und bringt es jetzt auf den Kontinent zurück. Vor allem im zweiten Teil wird der Abend berauschend. Es ist dann nur noch ein Glücksgefühl zu sehen, was Theater heute kann. Und wie gekonnt McBurney mit Video-Bildern arbeitet – dagegen sind alle anderen nur Chorknaben.