Herten. .

15 von 100 Müttern leiden nach der Geburt ihres Kindes und brauchen dringend Hilfe. Dr. Luc Turmes behandelt Frauen, die an einer postnatalen Depression leiden. Der Ärztliche Direktor spricht über die Erkrankung, ihre Symptome und Ursachen.

Wenn ein Kind geboren wird, erwartet die Welt eine Mutter in grenzenlosem Glück. Dies mag bestenfalls so sein. Doch sind da jene, die statt vor Freude auf Wolke sieben zu schweben in einem scheinbar bodenlosen Abgrund versinken.

Dr. Luc Turmes ist Ärztlicher Direktor der Hertener LWL-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Der Leiter der Mutter-Kind-Einheit behandelt Frauen, die an einer postnatalen Depression leiden. Mit ihm sprach WAZ-Mitarbeiterin Katharina Müller.

Was genau ist das, eine postnatale Depression?

Dr. Turmes: Im Grunde genommen handelt es sich um eine Volkserkrankung. 15 von 100 Müttern leiden nach der Geburt ihres Kindes an einer postnatalen Depression, die ärztliche Behandlung erforderlich macht. Trotzdem wird bei hundert Fällen von postnatalen Depressionen in nur 45 Fällen die richtige Diagnose gestellt und in nur fünf Fällen folgt eine adäquate Behandlung. Die Gesellschaft tabuisiert das Problem. Ist das Baby da, haben alle glücklich zu sein, als würde das Mutterglück vom Himmel fallen. Das hat auch mit einer generellen Stigmatisierung seelischer Erkrankungen zu tun.


Wie äußert sich so eine postnatale Depression?

Eine Patientin hat mal zu mir gesagt, dass es plötzlich Winter wurde in ihrer Seele. Das trifft es, denke ich, ganz gut. Der Zugang zu schönen, freudigen Gefühlen ist blockiert, die Kraft fehlt. Schlafstörungen sind charakteristisch, außerdem eine Art Grübelzwang: Die Patientin wälzt dieselbe Problematik immer und immer wieder, ohne damit auf einen grünen Zweig zu kommen. Die Konzentration ist gestört, es können körperliche Beschwerden hinzukommen, zum Beispiel das Gefühl, einen Ring um die Brust oder einen Kloß im Hals zu haben, oder diffuse Bauchschmerzen. Viele laufen von einem Arzt zum anderen, weil sie nicht wissen, was mit ihnen los ist, und haben bereits einen ziemlichen Leidensweg hinter sich, wenn sie hier ankommen.

Frauen in schwierigen Beziehungen erkranken öfter

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Gibt es Erkenntnisse darüber, welche Ursachen ausschlaggebend sind?

Natürlich. Da spielen zum einen biologische Faktoren eine Rolle. Das hat mit dem Stoffwechsel im Gehirn zu tun: Bei Depressionen liegt ein Serotoninmangel vor. Zum anderen sind soziale Aspekte wichtig, wir sprechen da vom fehlenden social support: Frauen, die alleinstehend sind oder beispielsweise in einer schwierigen Beziehung leben, erkranken häufiger an Depressionen. In Papua Neuguinea etwa, wo es noch die sogenannten Langhäuser gibt und die Frauen in ihrem Wochenbett immer jemanden um sich haben, der sich kümmert, ist die Quote deutlich niedriger. In unserem Kulturkreis sind die sozialen Netze eben deutlich dünner geworden. Zu guter Letzt spielen noch psychologische Faktoren eine Rolle, die meist mit der eigenen Lebensgeschichte zu tun haben.

Welche Auswirkung hat die Depression der Mutter auf das Kind?

Die Betroffene findet häufiger keinen Zugang zum Säugling und in Folge dessen kann es zu einer Bindungsstörung zwischen Mutter und Säugling kommen. Umso schlimmer ist es, dass der Bedarf an Mutter-Kind-Stationen in Deutschland gerade mal zu einem Viertel gedeckt ist. Das ist auch deshalb fatal, weil mittlerweile klar ist, dass eine Nicht-Behandlung häufig in Folgeerkrankungen psychischer Natur beim Kind mündet.

Was kann ich als Betroffene für mich selber tun? Was ist wichtig?

Nach Unterstützung schauen und sich nicht zurückziehen. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass man wirklich krank ist und Hilfe braucht. Eine seelische Erkrankung lässt sich genauso wenig nur mit bloßem Willen heilen, wie ein Beinbruch.