Velbert. Europa ist nicht so weit weg, wie manch einer denkt. Wir haben uns vor der Wahl umgehört, wo und wie Brüsseler Entscheidungen vor Ort wirken.

„Brüssel ist weit weg.“ - „Was interessiert mich Europa?“: Zwei Argumente, die recht häufig zur Sprache kommen, wenn es um die anstehende Wahl zum Europaparlament geht. Diese Haltung spiegelt auch die Wahlbeteiligung wider: 2019 lag die deutschlandweit bei knapp über 50 Prozent, bei den drei Wahlen davor sogar nur bei 42 Prozent. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2022 machten mehr als 76 Prozent aller Wahlberechtigten ihr Kreuz.

Die Sache hat allerdings einen Haken, denn Europa ist vor Ort näher, als viele glauben. In den Wochen bis zur Wahl werden wir daher an drei Beispielen zeigen, wo Gesetzgebung aus Brüssel (bzw. Straßburg) lokal greift. Zum Auftakt haben wir mit Landwirt Michael Greshake vom Gut Hixholz gesprochen.

„Europa ist kompliziert“

„Für uns ist Europa hautnah und direkt einkommenswirksam“, sagt Michael Greshake. „Und das hat viele Gründe.“ Einer sei, dass vieles, was in Brüssel entschieden würde, zwar gut gemeint sei, „bei uns Landwirten kommt aber wenig bis gar nichts davon an.“ Verpächter von Land hingegen profitieren.

Landwirtschaft ist stark vom Wetter abhängig. Dennoch gibt es aus Brüssel enge Vorgaben für die Arbeit auf dem Feld. „Fern der Realität“ nennt der Velberter Landwirt Michael Greshake daher diese Politik.
Landwirtschaft ist stark vom Wetter abhängig. Dennoch gibt es aus Brüssel enge Vorgaben für die Arbeit auf dem Feld. „Fern der Realität“ nennt der Velberter Landwirt Michael Greshake daher diese Politik. © dpa | Patrick Pleul

Das zu ändern, sei kompliziert, sagt der Velberter Landwirt. „In Europa treffen nationale, regionale und politische Interessen aufeinander. Die unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach.“ Man müsse eigentlich Politik-Stratege sein, um etwas durchzusetzen, „mit Vernunft hat das immer weniger zu tun“.

Velberter Landwirt erläutert fehlgeschlagene Qutenregelung

Als Beispiel nennt er die Milchquotenregelung. Die war Mitte der 1980er Jahre eingeführt worden. Die Hoffnung damals: „Damit sollte der Strukturwandel in der Landwirtschaft aufgehalten werden“, erläutert Michael Greshake.

Auf der Homepage des Bundeslandwirtschaftsministeriums heißt es dazu: Das damalige Garantiepreissystem habe zu einer erheblichen Überproduktion geführt, durch die die Interventionskosten für den EU-Milchmarkt einen immer größeren Anteil am EU-Agrarbudget einnahmen. „Die angestrebte Stabilisierung der Einkommen von Milcherzeugerinnen und -erzeugern und damit die Sicherung des Fortbestandes der Milchviehbetriebe in der EU konnte daher auf diesem Weg nicht mehr erreicht werden.“

Nur: Die neue Quote konnte das auch nicht. „Sechs Jahre ist das gut gegangen“, sagt Michael Greshake, „insgesamt hat das viel, viel Geld gekostet.“ 2015 dann kam das Aus für die Quote, da war die Zahl der Milchbauern in Deutschland von mehr als 320.000 auf rund 74.000 geschrumpft.

Politik trifft auf Realität

Anderes Beispiel: Es gibt von der EU klare Vorgaben, wann welche Arbeiten auf dem Feld erledigt sein müssen. Allerdings, betont Michael Greshake, sei die Landwirtschaft nun einmal vom Wetter abhängig. Und das halte sich nicht an Vorschriften. „Man zwängt uns enge Zeitfenster auf, das hat aber mit der Realität nichts zu tun.“

Nicht nur muss die EU verschiedene Interessen unter einen Hut bringen (nationale, regionale, politische), die Politik muss auch national umgesetzt werden. Zuständig ist Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) aber nur zum Teil - denn auch die 16 Bundesländer dürfen noch mitreden. „Sehr kompliziert“, nennt der Velberter Landwirt Michael Greshake diese Gemengelage.
Nicht nur muss die EU verschiedene Interessen unter einen Hut bringen (nationale, regionale, politische), die Politik muss auch national umgesetzt werden. Zuständig ist Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) aber nur zum Teil - denn auch die 16 Bundesländer dürfen noch mitreden. „Sehr kompliziert“, nennt der Velberter Landwirt Michael Greshake diese Gemengelage. © dpa | Wolfgang Kumm

Woran das liegt? „Vielen Politikerinnen und Politikern fehlt mittlerweile die Berufserfahrung“, sagt der Velberter Landwirt. „Früher war es selbstverständlich, dass Kollegen von mir im Landtag, im Bundestag oder im Europaparlament saßen.“ Heute allerdings benötige man fast ein Jura-Studium für die Politik. „Außerdem haben wir nicht mehr die Zeit“, fährt er fort. „Die Betriebe sind größer, zeitintensiver geworden. Das Gleiche gilt doch auch für das Handwerk. Und so fehlen diese Leute in den Parlamenten.“

„Gute Ideen, schlechte Umsetzung“

Grundsätzlich sei das Bemühen aus Brüssel ja auch nicht verkehrt: „Dass wir zum Beispiel klimatechnisch umsteuern müssen, kann ich absolut verstehen“, sagt Michael Greshake. Auch beim Thema Pflanzenschutz (Glyphosat) sehe er Handlungsbedarf. „Im Grundsatz brauchen wir das nämlich nicht. Ich persönlich lehne das auch ab.“

Nur: „Es gibt Situationen und Gegenden, in denen der Einsatz vom Glyphosat durchaus sinnig ist.“ Es gebe Länder, besonders in Osteuropa, „die brauchen das“. An dieser Stelle werde wieder deutlich, wie kompliziert es sei, unterschiedliche Interessenslagen unter einen Hut zu bringen.

Von Subventionen profitieren selten die Landwirte

Was die Subventionen anbelangt: Die werden nach wie vor nach Fläche ausgegeben. Anders gesagt: je größer der Betrieb, desto mehr Geld gibt es. „Allerdings nicht für die Bauern“, sagt Michael Greshake. Rund zwei Drittel des Geldes lande bei den Verpächtern. „Dass die also Subventionen unterstützen, ist klar“, fährt er fort. „Mehr Subventionen bedeutet ganz einfach mehr Pacht.“

Einen Silberstreif sieht er aber: „Die Politik fängt an, Zahlungen an ökologische Auflagen zu knüpfen.“ Doch auch hier merke man den mangelnden Praxisbezug: „Statt beispielsweise ökologische Ausgleichsflächen in die Produktion zu integrieren, etwa in dem dort Kleegras für den Milchbetrieb angebaut wird, sollen wir Flächen stilllegen.“

Je größer die Fläche, desto mehr Subventionen gibt es. Davon sehen die Landwirte allerdings in der Regel nicht viel, klagt der Velberter Michael Greshake. Das meiste Geld lande bei den Verpächtern.
Je größer die Fläche, desto mehr Subventionen gibt es. Davon sehen die Landwirte allerdings in der Regel nicht viel, klagt der Velberter Michael Greshake. Das meiste Geld lande bei den Verpächtern. © dpa | Harald Tittel

„EU hat massiven Einfluss“

Nur: „Flächen nicht nutzen ist so gar nicht unser Ding.“ Hier in der Gegend gebe es zwar Bereiche, „die wir ohne nennenswerte Einkommensverluste ausklammern können“. Aber das sei eben regional unterschiedlich. „Nur lassen uns die Behörden keine Wahl. Und die Stilllegung ist einfach der falsche Weg.“

Sein Fazit: „Die EU hat massiven Einfluss in allen Bereichen: Was wir tun, wie wir etwas machen, wann wir etwas machen. Und natürlich in finanzieller Hinsicht.“

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