Velbert. Das Velberter Gymnasium hat jetzt ein besonderes Zertifikat bekommen. Denn der Unterricht unterscheidet sich. Lehrer und Schülerin berichten.

Kurz vor der dritten und der sechsten Stunde wird es wuselig am Nikolaus-Ehen-Gymnasium. Die mehr als 700 Schülerinnen und Schüler sind unterwegs in die Klassenräume. Die Räume sind in diesen Stunden nicht einzelnen Klassen zugeteilt, sondern den Lehrern. Die Schüler suchen sich die Lehrer aus, bei denen sie lernen wollen. Das Velberter Gymnasium hat den Unterricht nach der Dalton-Pädagogik ausgerichtet und ist jetzt als bundesweit eines von vier Gymnasien zertifiziert worden.

Velberter Schüler lernen Selbstständigkeit

Dieses pädagogische Prinzip soll die Selbstständigkeit der Jungen und Mädchen fördern und die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen erleichtern. In jeder dritten und sechsten Stunde arbeiten die Schülerinnen und Schüler eigenständig und selbstverantwortlich mit ihren Lernplänen und können entscheiden, wie viel fachliche Unterstützung sie vom Lehrer in Anspruch nehmen wollen. Die übrigen Stunden finden in 45- bzw. 90- Minuten-Einheiten im Regelunterricht statt. Und in der Dalton-Zeit können sich die Schüler ihre Lehrer aussuchen und auch das Fach, welches sie auf ihrem Wochenplan gerade abarbeiten wollen.

Ruhe auf den Schulfluren

Aber sind das nicht manche Lehrer gefragter als andere? „Schon“, sagt Schülersprecherin Victoria Selenin, „man muss früh genug da sein. Und wenn der Raum mit 25 Schülern voll ist, sucht man sich schnell einen anderen“. „Fünf Minuten nach Beginn der Stunde ist dann aber wieder Ruhe auf den Schulfluren“, versichert NEG-Direktor Conrad Aust.

Mit diesem Schild kann sich die Schule jetzt schmücken.
Mit diesem Schild kann sich die Schule jetzt schmücken. © NEG | NEG

Im Privatleben von Dalton profitiert

„Ich bin mit einer eingeschränkten Empfehlung von der Grundschule aufs NEG gekommen und hatte zuvor Probleme, selbstständig zu lernen“, berichtet Victoria. Das habe sich komplett geändert. „Durch Dalton ist man gezwungen, allein zu lernen, das ist mir auch immer besser gelungen. Und auch im Privatleben habe ich davon echt profitiert, ich bin viel selbstständiger geworden“, berichtet die Zehntklässlerin. Und was sie ganz toll findet: „Weil wir in den Dalton-Stunden in völlig gemischten Altersgruppen zusammen lernen, kenne ich mittlerweile die meisten Schülerinnen und Schüler“. „Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl“, ist sich Aust sicher.

Helfer und Paten für die Neulinge

Für die Neulinge, die frisch von der Grundschule kommen, gibt es Paten und Helfer, die sie mit dem neuen Lernsystem vertraut macht. „Das klappt gut“, so Direktor Aust.

Pädagogischer Ansatz aus den USA

Der Daltonunterricht – benannt nach der Stadt Dalton in Massachusetts – ist ein Reformpädagogischer Ansatz und wurde von der amerikanischen Lehrerin Helen Parkhurst (1887 – 1973) entwickelt. Als junge Lehrerin an einer Landschule stand sie vor dem Problem, eine Gruppe von etwa 40 Schülerinnen und Schülern zwischen 4 und 14 Jahren in einem Klassenraum gemeinsam unterrichten zu müssen. Schnell wurde ihr klar, dass sie unter diesen Umständen den einzelnen Kindern durch klassischen (frontalen) Unterricht nicht gerecht werden konnte.

Sie entwickelte eine Unterrichtsform, die es ermöglichte, dass die Kinder möglichst selbstständig die Inhalte erarbeiten konnten, indem sie so oft es ging zusammen und eigenständig arbeiten sollten. Das nachhaltige Eigenstudium sollte möglichst häufig den direkten Unterricht ersetzen. Daher verfasste Parkhurst für die Schüler schriftliche Lernpensen, und richtete fachspezifisch ausgestattete Lernumgebungen ein, in denen die anwesenden Fachlehrer bei Lernschwierigkeiten halfen. Auf diese Art konnten die immer heterogen zusammengesetzten Klassengemeinschaften auch bei unterschiedlichen Lerntempi erhalten bleiben.

Auch Lehrerin Sarah Weinbörner sieht viele Vorteile. „Ich kann in den Dalton-Stunden viel individueller auf den einzelnen Schüler eingehen“, sagt sie. Die Lehrer seien hier vor allem Lernbegleiter. Dies führe zu einem ganz anderen Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. Man erkenne zudem schneller, wenn ein Kind Probleme habe. Und die Dalton-Stunden seien für Lehrer eine gute Abwechslung zum anstrengenden Frontalunterricht.

Seit einigen Wochen darf sich das NEG nun zertifizierte Dalton-Schule nennen. Dazu haben Mitarbeiter der Dalton-Vereinigung Deutschland das Velberter Gymnasium als „kritische Freunde“ zwei Tage lang unter die Lupe genommen.

Zertifikat erteilt

Im Vorfeld musste die Schule einen Fragebogen mit 100 Fragen beantworten. Nach einem Gespräch mit der erweiterten Schulleitung gab es ein Treffen mit sechs Eltern, die zu ihren Erfahrungen befragt wurden. Anschließend wurden am nächsten Tag sechs Schüler und sechs Lehrer zu ihren Eindrücken und Einschätzungen befragt. Schließlich führten Schüler die kritischen Freunde durch die Schule und sie Prüfer schauten sich den Unterricht an. Alles gefiel ihnen so gut, dass sie der Velberter Schule das Zertifikat verliehen. Das freut Schulleiter Conrad Aust besonders. Denn: „Ich habe schon an einigen Schulen unterrichtet, aber Dalton ist das beste System, das ich kenne“.