Velbert. Der Fall eines Georgiers in Velbert sorgt für Aufsehen. Flüchtlingshilfe und Ausländeramt sind sich uneinig: Wie bewerten sie die Abschiebung?

„Nur die halbe Wahrheit“, schreibt die Flüchtlingshilfe Velbert in einer E-Mail an die WAZ-Redaktion. In einer Meldung der Polizei Mettmann über den SEK-Einsatz am Mittwochmorgen fehlten Informationen über die Umstände, die zur „Bedrohungslage“ geführt hätten. Damit könnte der Großeinsatz rund um die Talstraße in Velbert in ein anderes Licht rücken. Der Kreis Mettmann und die Flüchtlingshilfe ordnen diesen zum Teil unterschiedlich ein.

Zum Hintergrund: Am Morgen des 22. Novembers, gegen sechs Uhr, sollte ein 35-jähriger Georgier von seiner Unterkunft in Velbert abgeholt und anschließend abgeschoben werden. Darüber hinaus war selbiges auch für seine hochschwangere Frau sowie deren beider Kinder (zwei & acht Jahre) vorgesehen – es sind Informationen, die in einem Telefonat mit den Behörden sowie deren Pressemitteilung nicht erwähnt wurden.

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Georgier bedrohte lediglich sich selbst

Ausgelöst hatte den Polizeieinsatz der Familienvater, der von seinem Balkon aus dem ersten Stock sprang und sich selbst – nicht aber Dritte (so beschreibt es auch die Polizei) – mit einem Messer bedrohte. Er habe gedroht, sich etwas anzutun, sofern das Ausländeramt nicht von der Abschiebung absehe. Nach Angaben der Flüchtlingshilfe hat der 35-Jährige sich nach draußen begeben, „damit seine Kinder das nicht mitbekommen“. Aktuell befinde sich der Mann mit einer Stichwunde und wegen akuter Suizidgefahr in der geschlossenen Psychiatrie eines Krankenhauses.

Drei Mitarbeiterinnen der Flüchtlingshilfe kritisieren, dass der Mann unter anderem in einer Meldung des Nachrichtenportals t-online als aggressiv dargestellt werde, wobei eine Gefährdung nur sich selbst gegenüber bestanden habe. Selbstmordversuche aus Verzweiflung und Perspektivlosigkeit seien jedoch keine Seltenheit bei Geflüchteten, die abgeschoben werden sollen, erklärt Juristin Dörte Frisch.

Seit über zwei Jahren ist die vierköpfige Familie in Velbert. Die jüngste Tochter sei sogar in Deutschland geboren worden, sagt Frisch. Alle Familienmitglieder sollen zudem Deutsch gelernt haben, die Eltern besuchen immer noch dementsprechende Sprachkurse. Die ältere Tochter bringe gute Leistungen in der Schule, bestätigen Jaqueline Montemurri-Jarnicki und Joanna Wantoch von der Flüchtlingshilfe Velbert.

Flüchtlingshilfe Velbert und Kreis Mettmann uneinig bei Attest zur Reisefähigkeit

Laut der Pressestelle des Kreises Mettmann besteht eine Ausreisepflicht der Familie – das bestätigt auch die Flüchtlingshilfe. Das Ausländeramt sei demnach für die Vollstreckung zuständig, während die Entscheidung über die Abschiebung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) getroffen werde. Wenn die Familie nicht reisefähig sei, müsse es ein entsprechendes Attest geben.

Der Behörde liege hingegen kein qualifiziertes Attest vor. Also ein solches, das die konkrete Erkrankung und Gründe für die Reiseunfähigkeit enthält. Anders sieht es die Flüchtlingshilfe: Die Frau habe zwei Dokumente vorgelegt, die sie als reiseunfähig attestierten (von Oktober und Anfang November). „Der Kreis hatte die Gelegenheit, sich über den Fall zu unterrichten.

Darüber hinaus sei dem Ausländeramt grundsätzlich kein Hinderungsgrund für die Abschiebung bekannt, ebenso wenig eine Risikoschwangerschaft. Um die Reisefähigkeit vor Ort zu prüfen, komme stets ein Arzt zur Abschiebung mit – und begleite die Geflüchteten bis in das Herkunftsland, so die Pressestelle. Dazu sei es in diesem konkreten Fall nicht gekommen. Die Begründung des Kreises Mettmann: „Weil der Vater so viel Wirbel gemacht hat.“

Abschiebung fünf Wochen vor Mutterschutz: zu knapp oder genügend Zeit?

Stutzig macht der Zeitpunkt der Abschiebung: Am 16. November stimmte der Bundestag dafür, dass Georgien (und die Republik Moldau) als asylrechtlich sichere Herkunftsstaaten gelten. Die Entscheidung des Bundes soll die Abschiebung von Geflüchteten aus Georgien und Moldau erleichtern. Dabei liegt eine amtliche Bekanntmachung dessen noch nicht vor, der Bundesrat muss dem Parlamentsbeschluss (Stand: 24.11.) noch zustimmen. Dennoch betont der Kreis Mettmann bereits zuvor: „Georgien ist kein unsicheres Land.“

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Dörte Frisch von der Flüchtlingshilfe beschreibt die geplante Abschiebung der georgischen Familie als „vorauseilend“. Dabei ist klarzustellen: Für den Einzelfall der Velberter Familie ist die Entscheidung des Bundestages nicht relevant. Letztere soll lediglich die Asylverfahren beschleunigen. Dementsprechend beschreibt Frisch, sie sei im Falle der georgischen Familie ziemlich mutlos, dass sie doch bleiben können – die juristischen Mittel seien weitestgehend ausgereizt, das Asylverfahren eingestellt.

Unverkennbar ist hingegen, dass die schwangere Mutter Ende des Jahres unter den Mutterschutz fällt, der eine Abschiebung unmöglich macht. Dieser Schutz greift sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin und acht bis zwölf Wochen im Anschluss an die Entbindung. In vier Wochen würde der Mutterschutz der Georgierin beginnen: Nach Aussagen des Kreises Mettmann bleibt somit rechtmäßig genügend Zeit, laut Flüchtlingshilfe fand die Abschiebung bewusst kurz davor statt und hat moralische Grenzen überschritten.