Velbert. Witte-Geschäftsführer Rainer Gölz trägt Verantwortung für rund 6000 Mitarbeiter. Er spricht über seinen Spagat zwischen Familie und Unternehmen.

Rainer Gölz kommt gerade aus einer langen Videokonferenz – mit den Kollegen in Indien, die seit der Übernahme der Vast Group vor wenigen Wochen nun auch zu Witte gehören. Nun sitzt der Geschäftsführer von Witte Automotive an einem Konferenztisch – vor einem Bild, das Ewald Witte zeigt. „Der Gründer“ steht groß über dem Foto des Mannes, der Ähnlichkeiten mit dem jungen Boris Becker hatte. „Mein Urgroßvater“, sagt Gölz: „Ewald Witte hat 1899 den Grundstein für das Unternehmen, das damals noch Kofferschlösser produzierte, gelegt.“

Wichtiger ist Gölz aber – das merkt man schnell – das Foto, das auf der anderen Seite des Raumes hängt. Es zeigt seine Mutter Eva Gölz, geborene Witte. Aufgenommen wurde das Bild in den 60er-Jahren an einem Schreibtisch. Wenn Rainer Gölz über seine 2018 verstorbene Mutter spricht, dann schwingt Bewunderung mit, aber auch viel Wärme.

Beim Gedanken an seine Mutter leuchten die Augen des Velberter Unternehmers

Eva Gölz, geborene Witte, in den 1960er-Jahren. 
Eva Gölz, geborene Witte, in den 1960er-Jahren.  © Familie Gölz

„Sie war immer sehr fleißig und hat viel für das Familienunternehmen getan, viel bewegt, hat als Gesellschafterin und langjährige Geschäftsführerin wichtige Zukunftsentscheidungen getroffen“, sagt der heutige Chef. Dann leuchten seine Augen: „Aber als wir klein waren – wir waren ja insgesamt fünf Kinder – war sie auch eine wundervolle Mutter, die sich zu Hause mit viel Liebe um alles gekümmert hat.“

Spagat zwischen Familienleben und Unternehmertum

Dass seine Eltern keinen klassischen Beruf mit festen Arbeitszeiten haben, hat Rainer Gölz, der 1970 geboren wurde, schnell gemerkt – obwohl die Eltern stets versucht haben, Privates und Berufliches zu trennen. Aber ganz gelang das natürlich nicht: „Es wurde einfach viel gearbeitet.“ Den jugendlichen Rainer Gölz hat das nicht abgeschreckt, sondern eher fasziniert. Sein eigener Chef sein – Entscheidungen treffen – Erfolg haben. Das klang für ihn gut.

Rainer Gölz lernte schnell, was Arbeiten heißt

Sein Start im Familienunternehmen brachte Rainer dann aber schnell zurück auf den Boden der Realität: In den Schulferien – Gölz besuchte das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Velbert – jobbte er wie seine Geschwister bei Witte, stand stundenlang an der Presse oder bewegte schwere Paletten von A nach B. „Da habe ich gelernt, was arbeiten heißt“, sagt Gölz. „Und ich war dort nicht ,der Sohn von’, sondern musste wie jeder andere schuften.“ Den Inhalt seiner Lohntüte nutzte Gölz, um die Urlaubskasse aufzubessern.

Einstieg ins Familienunternehmen war für Rainer Gölz kein Muss

Witte Automotive stellt unter anderem Türgriffe für Fahrzeuge her. In Velbert werden die neuen Technologien entwickelt.
Witte Automotive stellt unter anderem Türgriffe für Fahrzeuge her. In Velbert werden die neuen Technologien entwickelt. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

„Ins Unternehmen einzusteigen, war nie ein Muss“, sagt Rainer Gölz. Und er entschied sich nach seinem Wirtschaftsingenieurwesen-Studium zunächst auch, als Unternehmensberater zu arbeiten. „Eine spannende Zeit, in der ich viel gelernt und viele Branchen kennengelernt habe“, sagt er. 1999 rief sein Vater Gerhard, der zu dieser Zeit als angestellter Geschäftsführer das Unternehmen leitete, an: „Meine Mutter, die zuvor schon aus der aktiven Geschäftsführung ausgeschieden war, hatte ihn beauftragt, sich Gedanken über einen Nachfolger zu machen“, sagt Gölz lächelnd. „So war sie.“ Doch Rainer Gölz wurde nicht direkt Chef, sondern zunächst Assistent der Geschäftsführung. Erst zwei Jahre später zog er ins Chef-Büro um. Und es mussten direkt wichtige Richtungsentscheidungen getroffen werden.

Nicht jede Entscheidung des neuen Witte-Chefs stieß auf Zustimmung

„Witte war damals noch sehr regional aufgestellt, mit 150 Millionen Euro Jahresumsatz zwar durchaus erfolgreich, aber die Branche entwickelte sich in dieser Zeit rasant, wurde immer internationaler.“ Für seine Entscheidung, neben dem seit Beginn der 1990er-Jahre bestehenden Werk in Tschechien weiter auch im Ausland zu investieren, musste Gölz durchaus Kritik einstecken. „Wir haben es getan, um wettbewerbsfähig zu bleiben und so Sicherheit für den Standort Velbert zu erzeugen“, erklärt er. „Es war die richtige Entscheidung.“

Der Witte-Familienspirit soll auch bei 6000 Mitarbeitern erhalten bleiben

An einen Rückzug des Unternehmens aus Velbert hat Gölz nie gedacht: „Velbert ist meine Heimat, hier fühle ich mich wohl.“ Und – das betont der Witte-Chef immer wieder: In Velbert und auch „nebenan“ bei Witte Niederberg in Wülfrath habe man tolle Mitarbeiter. 6000 Mitarbeiter hat Witte mittlerweile weltweit – der Umsatz wird im kommenden Jahr die Milliarden-Euro-Grenze überschreiten. Auch wenn manch ein langjähriger Mitarbeiter bedauert, dass Rainer Gölz nicht mehr – wie es sein Vater noch getan hat – vor Weihnachten jedem per Handschlag frohe Festtage wünscht, legt der Chef großen Wert darauf, dass die Nähe zu den Mitarbeitern nicht verloren geht und der Familienspirit trotz der Größe erhalten bleibt. Und so ist es für Gölz beispielsweise selbstverständlich, dass er am Azubi-Grillen teilnimmt, wenn es der volle Terminkalender irgendwie erlaubt – und er hat immer ein offenes Ohr für kleine Sorgen und große Nöte.

Der Chef sieht sich als Teamplayer – und nicht als Alleinentscheider

Die meiste Zeit verbringt Witte-Chef Rainer Gölz am Schreibtisch – beispielsweise in Videokonferenzen.
Die meiste Zeit verbringt Witte-Chef Rainer Gölz am Schreibtisch – beispielsweise in Videokonferenzen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Insgesamt versteht sich der Witte-Geschäftsführer nicht als Einzelkämpfer, sondern als Teamplayer: „Es wäre ja dumm, wenn ich die Expertise, die wir im Haus haben, nicht nutzen würde. Und unser Unternehmenserfolg liegt auf vielen Schultern.“ Wichtige Entscheidungen werden immer gemeinsam – mit dem Beirat und dem achtköpfigen „Executive Board“ – getroffen – immer daran denkend, dass die Entscheidung Einfluss auf mehrere tausend Beschäftigte haben kann. Auch wenn seine Frau es sich manchmal wünscht: „Sie kann sich nicht erinnern, dass ich irgendwann mal um 16 oder 17 Uhr Feierabend gemacht hätte“, sagt Gölz.

Ganz ohne Handy geht es auch im Urlaub nicht

Zuletzt hat er sich einen Urlaub in den Bergen gegönnt: Wandern, Radfahren, Zeit füreinander haben. Ohne Handy? „Nein“, räumt Gölz ein – „nicht ausgeschaltet, aber zumindest ab und zu zur Seite gelegt. Und ich habe wirklich versucht, nur ganz selten dienstlich zu telefonieren.“ „Eine gewisse Dynamik brauche ich einfach“, sagt Gölz, räumt aber auch ein: „Manchmal ist es zu viel.“. Nach Corona, Chip- und Wirtschaftskrise könnte nun wieder etwas mehr Ruhe einkehren, sagt der Witte-Chef. Aber auch nach einem Erfolg dürfe man sich nicht zurücklehnen und darauf ausruhen, – „aber ihn zumindest mal feiern“, wie jetzt die Übernahme der Vast Automotive Group.

Eine nächste Witte-/Gölz-Generation gibt es. Ob einer davon irgendwann auf dem Chef-Sessel Platz nehmen wird? „Es ist eine Möglichkeit, aber kein Muss“, lässt der Vater dem Familien-Nachwuchs alle Freiheiten – er sagt umgekehrt aber auch: „Es gibt kein Anrecht, dass man als Gesellschafter auch Geschäftsführer wird. Und wenn, dann sollte man sich klar sein, dass es wohl eine Entscheidung fürs Leben ist.“

Nächstes Jahr steht ein Jubiläum an

Im kommenden Jahr kann das 125-jährige Bestehen gefeiert werden. Dass es Witte auch in 125 Jahren noch gibt, davon ist Rainer Gölz überzeugt: „Vermutlich ganz anders als heute – so wie wir ja heute auch keine Kofferschlösser mehr herstellen. Aber ja: Witte wird es auch zum 250-Jährigen noch geben“, sagt Gölz: „Dafür werden wir alles tun“