Neviges. Die Kapelle auf dem evangelischen Friedhof in Velbert-Neviges ist nach Expertenmeinung ein Schmuckstück. Eines, das voller Geheimnisse steckt.
Geplant waren Routine-Arbeiten: neue Elektro-Installation, neue Heizung, neuer Anstrich. Die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde wollte Angehörigen in der Friedhofskapelle an der Siebeneicker Straße einen möglichst würdigen Rahmen für das Abschiednehmen schaffen, die Trauerhalle auf der kleinen Anhöhe mit der typisch bergischen Schieferfassade sollte nicht nur von außen hübsch aussehen. Doch welch ein Kleinod sich hier verbirgt, welche Kostbarkeiten – das verschlug dem neuen Baukirchmeister Martin Straßen bei einer ersten genaueren Inspektion den Atem. „Das hier ist ein Knaller, ein echtes Schmuckstück“, sagt der mehrfach ausgezeichnete Garten- und Landschaft-Architekt, der auch auf die Sanierung historischer und denkmalgeschützter Gebäude spezialisiert ist.
Kapelle in Velbert soll bis Ende 2023 saniert sein
Vorweg gesagt: All die genannten Arbeiten wie die Installation einer neuen Heizung werden zurzeit in Angriff genommen oder sind schon gestartet, rund 230 000 Euro lässt sich die Gemeinde die Sanierung der Kapelle kosten. Ende 2023 soll alles fertig sein, inklusive der behutsamen Sanierung bzw des Schutzes all der wertvollen Dinge, die hier bislang im Dornröschenschlaf lagen – zum Glück, so Martin Straßen: „Es ist im Nachhinein gut, dass sich hier Jahrzehntelang keiner so recht gekümmert hat. Sonst wäre man vielleicht auf die Idee gekommen, einiges zu modernisieren.“ Denn unter Denkmalschutz steht die Kapelle bisher nicht. „Ich persönlich würde das befürworten“, so Martin Straßen. Auch Lea Holota-Fernau, Mitarbeiterin der Denkmalbehörde der Stadt Velbert, sei von der kleinen Kapelle beeindruckt gewesen.
Sechs wertvolle Fenster einer Berliner Manufaktur
Der Architekt legt den Kopf in den Nacken, deutet mit dem Finger in Richtung der hohen Decke: „Jugendstil in einer Totenhalle, das war nicht gerade üblich, dermaßen künstlerische Formen für diesen Anlass.“ Doch die eigentliche „Sensation“, der 1927 erbauten Kapelle, so Straßen, gibt es gleich in sechsfacher Ausführung: Bleiverglaste Fenster, auch sie erschaffen in reinstem Jugendstil. Was ihn „baff“ gemacht habe, wie sich Straßen erinnert, das war ein Schriftzug rechts unten in der Ecke eines Fensters: „Puhl & Wagner, Neukoelln“. Da sei auch Denkmalschützerin Lea Holota-Fernau ziemlich elektrisiert gewesen, denn: „Das war der bedeutendste und größte deutsche Hersteller von Glasmosaiken und Glasmalereien, 1889 gegründet“, erzählt Martin Straßen und fragt sich: „Wie kommt ein solcher Auftrag in das kleine Neviges? Wer hat das damals finanziert? Eine Gemeinde konnte so etwas nicht stemmen, diese sechs Fenster waren unfassbar teuer.“ Immerhin verlieh Kaiser Wilhelm der Manufaktur den Titel „Hoflieferant Seiner Majestät des Kaisers und Königs“.
Handwerksbetrieb war „Hoflieferant Seiner Majestät“
So schuf der Hoflieferant in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche 2740 Quadratmeter Mosaik, im Dienste der Außenpolitik erhielt „Puhl & Wagner“ den Auftrag, den „Deutschen Brunnen“ auf dem Hippodrom in Istanbul zu errichten, ein Geschenk des Kaisers an Sultan Abdülhamid II. In der Auferstehungskirche in St. Petersburg hat die Manufaktur die Altarbilder geschaffen, auch der im Zweiten Weltkrieg zerstörte Innenhof des legendären Berliner Hotel Adlon gehörte zu den zahlreichen Aufträgen – und eben die Kapelle an der Siebeneicker Straße. Geplant ist, diese sechs Kostbarkeiten von außen „dezent und unsichtbar“, so Straßen, mit einer Glasfront gegen Wind und Wetter zu schützen.
Die erste Trauerhalle wurde abgerissen
Spannend finden der Architekt sowie Dr. Britta Burkhardt und Stephan Schnautz, beide sind im Bau- und Friedhofsausschuss der Gemeinde, auch die Geschichte der Trauerhalle. So wurde schon vor 1895 eine alte Totenhalle erbaut, und zwar weiter unten an der Siebeneicker Straße. Die heutige Kapelle stammt aus dem Jahr 1927, ursprünglich gab es als Anbau ein Wohnhaus im gleichen Stil, in dem der Friedhofsgärtner mit seiner Familie wohnte. Im Zuge des Ausbaues bzw. der Tieferlegung der Siebeneicker Straße wurde die frühere, von 1895 stammende Totenhalle unten an der Straße abgerissen. Ebenso das Wohnhaus im bergischen Stil.
Zum „Neubau“ 1927 gehörte auch ein Aufzug, der noch heute in Betrieb ist und damals als hochmodern galt. Fährt er doch die Toten vom Keller hinauf in die Kapelle. Auf dem Schild der „Aufzugsverordnung 1926“ steht dazu unter anderem folgender Satz: „Es ist verboten, Personen zu befördern, bei denen das Mitfahren von Personen verboten ist.“ Wer mit diesem Aufzug fährt, dem mag das egal sein.
>>>Im Stil eines „bergischen Gartenpavillons“
Die Kapelle, die im Stil ganz nah dran ist am „bergischen Gartenpavillon“, so Martin Straßen, soll in Zukunft auch für andere Veranstaltungen als nur zu Beerdigungen geöffnet werden, so der Wunsch des Bau- und Friedhofsausschusses und der Gemeinde.
Denkbar seien Abendandachten oder ein Frühjahrsgottesdienst.