Velbert. Der Ev. Kirchenkreis Niederberg ist zum „Erprobungsraum“ geworden: Kirche soll anders und lebendiger werden und vor allem bei den Menschen sein.

Es ist eine alte Weisheit, aber sie stimmt einfach: Probieren geht allemal über Studieren. In jeder Hinsicht. Ein Erprobungsraum ganz besonderer Art ist in unserer Region der Evangelische Kirchenkreis Niederberg. Dabei geht es um nichts Geringeres als die so manches Gewohnte und Eingeübte auch hinterfragende Frage „Wie kann Kirche auch anders sein?“ Und wie kann sie dabei vor allem nicht etwa Kirche für andere, sondern mit anderen sein? „Ich bin nicht radikal und werfe alles über Bord“, versichert Pfarrer Jürgen Buchholz. Ihm gehe es dabei mehr um „Evolution statt um Revolution“. Die Teilnahme am Projekt „Erprobungsräume“ ziele vielmehr auf Ergänzung und Weiterentwicklung.

Vorreiter zum Vorbild genommen

Der Panoramaradweg wird beim Kirchenkreis – im Bild Superintendent Jürgen Buchholz – künftig eine noch größere Rolle spielen. Dafür hat man eigens schon ein Lastenrad angeschafft.
Der Panoramaradweg wird beim Kirchenkreis – im Bild Superintendent Jürgen Buchholz – künftig eine noch größere Rolle spielen. Dafür hat man eigens schon ein Lastenrad angeschafft. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Der Superintendent – er ist seit acht Jahren im Amt und hat bis zur Pensionierung noch zwei weitere vor sich – und Seelsorger in der Bergischen Diakonie Aprath ist bei der Sache maßgeblich Ideengeber und „Anstifter“. Kirche müsse lebendiger und beim Menschen sein, sagt er. Die mitteldeutsche Kirche sei Vorreiter gewesen, erzählt der 64-Jährige, für den entsprechende Synodalvorträge wichtige Impulse waren, und die hiesige Rheinische Landeskirche habe sich die Idee zu eigen gemacht.

Trotz viel Arbeit großen Spaß gehabt

Im nächsten Schritt bewarben sich die Niederberger vor zwei Jahren mit Erfolg bei ihren Kirchenoberen in Düsseldorf – dort sollten von 14 Aspiranten acht gefördert werden – und bekommen derzeit fünf Jahre lang eine Zehn-Stunden-Stelle für das Projekt „spendiert“. Die Vesperkirchen-Premiere von 2019 in der Christuskirche sei Vorbote und „im Grunde schon die erste praktische Einheit“ gewesen, blickt Buchholz zurück. „Es hat trotz vieler Arbeit großen Spaß gemacht.“ Vesper steht sowohl für eine Mahlzeit als auch für eine Andachtsform; die Vesperkirche bringt beides unter einen Hut. Willkommen sind alle, die gemeinsam „Nahrung für Leib und Seele“ zu sich nehmen wollen. Das Ziel lautet möglichst viele Menschen zusammenzubringen. Und keinen auszugrenzen.

Quartierhaus und „Kraut und Rüben“

Zusammenschluss von zehn Gemeinden

Der Kirchenkreis Niederberg ist einer von insgesamt 37 im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland. Er entstand im Jahr 1878 durch Teilung der Kreissynode Elberfeld. Die im damaligen preußischen Landkreis Mettmann liegenden Kirchengemeinden schieden aus der Kreissynode Elberfeld aus und bildeten fortan die Niederbergische Kreissynode.

Heute ist der Kirchenkreis Niederberg ein Zusammenschluss von zehn Gemeinden: Dönberg, Düssel, Gruiten-Schöller, Heiligenhaus, Langenberg, Neviges, Tönisheide, Velbert, Velbert-Dalbecksbaum und Wülfrath.

Im Zuge der „Erprobungsräume“ haben die Dönberger ihr Gemeindehaus zu einem Quartierhaus umgebaut bzw. umfunktioniert, das nunmehr Lebensmittelpunkt für alle dort Wohnenden ist. Die Gemeinde Velbert-Dalbecksbaum baut den „Langen Tischer der Nachbarschaft“ auf, an dem Platz für alle ist, die rund um die Apostelkirche leben. Und an der Alten Kirche in Heiligenhaus herrscht (gewollt) „Kraut und Rüben“. Die zehn Hochbeete mit Gemüse oder Blumen seien immer wieder ein guter Anknüpfungspunkt für Gespräche, berichtet der Superintendent. Darüber hinaus wolle man künftig mehr auf dem Panoramaradweg Niederbergbahn sowie beiderseits der Trasse unternehmen, zumal sie sich auch wie eine Lebensader durch den Kirchenkreis ziehe.

Teil der Nachbarschaft und keine Club-Kirche

Hier herrscht gewollt „Kraut und Rüben“: die Hochbeete von Heiligenhaus.
Hier herrscht gewollt „Kraut und Rüben“: die Hochbeete von Heiligenhaus. © Kirchenkreis Niederberg | Kirchenkreis Niederberg

Hartmut Scheidt vom Presbyterium Velbert-Dalbecksbaum ist daran gelegen zu zeigen, dass Kirche nicht alleine und isoliert da steht: „Kirche und Gemeinde sind ja Teil der Nachbarschaft. Kirche soll kein Insiderclub sein.“ Er sei dagegen, „eine Art Club-Kirche zu sein und dann Leute zu holen, die so werden müssen wie wir sind“, betont auch Jürgen Buchholz. Ihm ist zudem das Zusammenwirken von Diakonie und Gemeinde wichtig. „Kirche ohne Diakonie verliert die Erde“, zitiert er, „Diakonie ohne Kirche verliert den Himmel.“

Nicht mehr alle für alles

Das Erproben und Ausprobieren geht einher mit einer Vernetzung und engerem Zusammenrücken einzelner Gemeinden. „Viele spüren, dass sie nicht mehr ,alles für alle’ anbieten können und wollen.“ Was sich Jürgen Buchholz ganz doll wünscht? „Dass das Ganze in vielen Kirchengemeinden Fuß fasst und dass die Projekte so überzeugend sind, dass sie von allein weiter laufen. Ganz wichtig ist aber: Es soll Spaß machen.“

Die nächste Vesperkirche Niederberg findet vom 21. bis 28. August in der Markuskirche, Losenburger Weg, statt. Wie gewohnt gibt es gutes Essen und abends zusätzlich Kunst und Kultur. Aktuell werden in erster Linie noch Helfer wie Kellner und Essensausgeber gesucht (Infos auf www.vesperkirche-niederberg.de).