Langenberg. Zwölf ukrainische Schülerinnen und Schüler lernen am Gymnasium Langenberg. Die ersten Schritte sind getan, aber die Beteiligten brauchen Ausdauer

„Ich habe tote Menschen auf der Straße liegen sehen“, sagt David. Der Dreizehnjährige ist aus dem ukrainischen Mykolajiw nach Langenberg gekommen und lernt nun am hiesigen Gymnasium. „Als wir noch in der Stadt waren, wurde unser Busbahnhof bombardiert. Und später, an der Grenze zu Polen, haben wir stundenlang im Schnee gestanden.“

Hilfe ist „Herzensangelegenheit“

Es sind Schüler, die zum Teil grausame Erfahrungen gemacht haben, mit denen am Gymnasium nun gearbeitet wird. Aber: „Ich nehme sie – soweit ich das beurteilen kann –, nicht als traumatisiert wahr“, sagt Svitlana Jurkiewicz, die am Gymnasium eigentlich Chemie, Biologie, Mathematik (und in der Theorie auch Russisch) unterrichtet, sich nun aber auch um die ukrainischen Geflüchteten kümmert. „Ich komme aus Charkow in der Ostukraine – für mich ist die Hilfe also Herzensangelegenheit und Pflicht gleichermaßen.“

Julia Willner, Lehrerin für Französisch und Sport, ist Integrationsbeauftragte am Gymnasium Langenberg. Sie lernt spielerisch mit ukrainischen Schülerinnen und Schülern deutsche Sätze.
Julia Willner, Lehrerin für Französisch und Sport, ist Integrationsbeauftragte am Gymnasium Langenberg. Sie lernt spielerisch mit ukrainischen Schülerinnen und Schülern deutsche Sätze. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Chef der Integration am Langenberger Gymnasium ist indes Sebastian Zellmer, auch wenn er das so nicht akzeptieren würde: Zellmer legt Wert darauf, dass hinter der Eingliederung der Geflüchteten ein ganzes Team steht. Julia Willner etwa. Die Sport- und Französischlehrerin engagiert sich schulintern seit 2016 in der Flüchtlingshilfe, gemeinsam mit Zellmer arbeitet sie permanent am Integrationskonzept.

Hilfe aus der Schülerschaft

Das sieht für die ersten Monate – vermutlich bis zu den Sommerferien – eine Willkommensklasse für die Ukrainer vor, in der sie unter sich bleiben: Spracherwerb und Integration, unter anderem durch Sport und Musik.

Hilfe bekommt die Klasse dabei aus der Schülerschaft: Charlotte Peters und Max Siekmann engagieren sich in ihren Freistunden. „Ich glaube einfach“, sagt letzterer, „dass ich als Gleichaltriger noch mal einen anderen Zugang zu den ukrainischen Schülern habe“.

Fußball- und Literaturfan

Es ist ein kalter Morgen, an dem die Klasse zum ersten Mal zusammensitzt: Da wäre etwa Tima aus Termopil, der von einer Karriere als Fußballprofi träumt und großer Fan des ukrainischen Spitzenteams Dynamo Kyiv ist.

Lehrerin Julia Willner mit ukrainischen Schülern: Insgesamt zwölf sind derzeit am Gymnasium Langenberg und lernen erst einmal Deutsch.
Lehrerin Julia Willner mit ukrainischen Schülern: Insgesamt zwölf sind derzeit am Gymnasium Langenberg und lernen erst einmal Deutsch. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

„In Deutschland mag ich Borussia Dortmund“, sagt er. Nun gut, er hat ja noch Zeit, um dazuzulernen, scherzt jemand im Raum. Neben ihm sitzt Ivan. Lieblingsfach: Literatur. Auf der anderen Seite des Raumes haben sich Marta und Darina nebeneinandergehockt. Die eine hat rosafarbene Haare, die andere verpackt gerade ihre Brille in einem Hello-Kitty-Etui.

„Langenberger sind freundlich“

Marta sagt: „Ich wollte eigentlich in Polen bleiben, aber meine Freunde haben mir geraten, nach Deutschland zu kommen. Ich mag Langenberg.“ Sie sagt, die Menschen hier seien offen und fast immer freundlich. Wird sie nach ihren Lieblingsfächern gefragt, antwortet sie: „Ich habe immer gerne Ukrainisch, Russisch und Mathematik gelernt, in Langenberg freue ich mich aber auf Musik.“ Kurz überlegt sie, dann schiebt sie nach: „Und ich würde gerne Volleyball spielen. Vielleicht auch im Verein“.

Kurz darauf beginnt der Unterricht: Sebastian Zellmer schreibt drei Sätze an die Tafel. „Woher kommst du?“, fragt er. „Ich komme aus der Ukraine“, antwortet Ernest zögerlich, der genau wie sein Bruder David irgendwann einmal Doktor werden möchte.

Einstieg läuft gut

Es sind die ersten zusammenhängenden deutschen Sätze, die die Kinder hier lernen. „Ich habe den Eindruck“, wird Julia Willner anschließend sagen, „dass sie Lust haben zu arbeiten und zu lernen“. Und tatsächlich: Dafür, dass sie die neuen Sätze vor drei Minuten zum ersten Mal gehört haben, kommen sie bereits flüssig aus ihren Mündern: „Ich heiße Dascha.“ – „Ich komme aus Kyiv.“ – „Ich bin dreizehn Jahre alt.“

Für Zellmer und sein Team läuft der Einstieg also gut. Trotzdem würden sie sich über Hilfe freuen. „Ich habe jetzt schon öfter gehört, dass es unter den Geflüchteten in Velbert auch Lehrerinnen gibt.“ Er hoffe, sagt er, dass deren Abschlüsse bald anerkannt würden. „Denn dann könnten wir sie – wenn sie Lust haben – hier anstellen.“

Kinderpsychologen gesucht

Und auch anderweitig wäre den Verantwortlichen Unterstützung lieb: „Ich habe Angst, eventuellen Traumata nicht sensibel genug begegnen zu können“, sagt er. Deshalb lote er im Moment aus, ob eventuell ukrainischsprachige Kinderpsychologen aufzutreiben sind. Denn bei allem Enthusiasmus: Dass die Traumata der zerbombten Busbahnhöfe irgendwann aufbrechen, ist nicht unwahrscheinlich.

Die Berichterstattung erfolgt dank Mithilfe und Übersetzung von Yulia-Anna Polek. Sie ist eine der Flüchtlinge und hat bislang in Kiew Journalismus studiert.

Knapp 30 Geflüchtete am Gymnasium

Die Willkommensklasse am Langenberger Gymnasium besteht aktuell aus zwölf ukrainischen Geflüchteten.

Hinzukommen noch zwanzig Geflüchtete aus verschiedene Ländern, die am Gymnasium in anderen Klassen lernen. Sie kommen etwa aus Syrien oder Bulgarien.