Kreis Mettmann. Im Kreis Mettmann gibt es ca. 30 Prozent mehr Langzeitarbeitslose als noch vor der Pandemie. Jobcenter und Arbeitsagentur halten kräftig dagegen.

Derweil sich der Arbeitsmarkt im Neanderland trotz erschwerter Rahmenbedingungen durch die Pandemie nach wie vor recht stabil zeigt, die Arbeitslosenquote mit zuletzt 6,3 Prozent relativ moderat ausfällt und sich die Nachfrage nach Arbeitskräften weiter auf hohem Niveau bewegt, hat die Langzeitarbeitslosigkeit über mehrere Monate sukzessive zugelegt. Während aktuell die Arbeitslosigkeit etwa zehn Prozent über dem Niveau wie vor der Pandemie rangiert, sind es bei der Langzeitarbeitslosigkeit rund 30 Prozent mehr. Zum letzten Jahresende war nahezu jeder zweite Arbeitslose das bereits zwölf Monate oder länger – und der Definition nach damit langzeitarbeitslos.

Sprunghafter Anstieg im Kreis Mettmann

Im Frühjahr 2020 sei, bedingt durch Corona, kreisweit die Zahl der Arbeitslosen „ganz sprunghaft gestiegen“, resümiert Karl Tymister; die Langzeitarbeitslosigkeit habe zugleich kontinuierlich zugenommen. Mit zeitlichem Verzug, so der Chef der Arbeitsagentur Mettmann weiter, habe ein Jahr später auch die Langzeitarbeitslosigkeit einen Sprung nach oben getan und eigentlich im April 2021 ihren Höhepunkt erreicht. Seither beobachte man „tendenziell einen leichten Rückgang“. Und: Die Arbeitgeber hielten sich bei der Neubesetzung von Jobs zurück.

Fast jeder zweite Betroffene über ein Jahr arbeitslos

Zum Zeitpunkt der letzten Jahres-Bilanz, im vergangenen Dezember, sah die Lage folgendermaßen aus: Von allen Arbeitslosen sind 7363 Männer und Frauen ein Jahr oder länger arbeitslos. Damit ist die Langzeitarbeitslosigkeit infolge der Pandemie um nahezu ein Drittel gestiegen. Ihr Anteil an allen Arbeitslosen liegt bei 45,4 Prozent, im November vor der Pandemie betrug er 38,4 Prozent. Die meisten Langzeitarbeitslosen, nämlich 86,3 Prozent, betreut das Jobcenter „ME-aktiv“.

Fünf- bis siebenfaches Risiko

Nach Auskunft von Eva Walgenbach sind vergleichsweise viele Betroffene über 50 und oftmals auch auf Helferniveau. Vermeidung und Bekämpfung von länger währender Arbeitslosigkeit, betont die Geschäftsführerin operativ von der Agentur, hätten einen hohen Stellenwert. Präventiv seien beide Seiten – Arbeitsagentur und Jobcenter – aktiv. „A und O ist eine Qualifizierung idealerweise mit Berufsabschluss“, sagt Walgenbach. Der Eintritt ins Erwerbsleben sei mit einer Qualifikation allemal einfacher. „Für Ungelernte“, ergänzt Tymister, „ist das Risiko, arbeitslos zu werden, fünf- bis siebenmal so hoch.“

Anstellung als Zahnarzt

Das Jobcenter hat aus seiner Arbeit Beispiele für gelungene Integration parat. So berichtet Caroline Kleine-Benne – ebenfalls Geschäftsführerin operativ, aber von „ME-aktiv“ – von einem Syrer, der Zahnmedizin studiert hat und 2014 aus seiner Heimat geflüchtet ist. Das Jobcenter half ihm und seiner Familie mit vier Kindern nicht nur mit dem Arbeitslosengeld II, sondern vor allem mit „speziellen zahnmedizinischen Lehrgängen, damit er seine bereits erworbenen Abschlüsse anerkannt bekommen konnte“. Der Mann arbeite jetzt als angestellter Zahnarzt und habe Aussichten, Teilhaber der Praxis zu werden.

Vor allem Frauen im Fokus

Im Bereich der Agentur wurde eine alleinstehende Frau (52), die zuvor lediglich Helfertätigkeiten ausgeübt hatte, zur Pflegeassistentin qualifiziert. Sie habe nach weiterer Förderung durch das Jobcenter jetzt eine feste Stelle und bestreite ihren Lebensunterhalt selbst, heißt es weiter. Man habe den Fokus schwerpunktmäßig auf Frauen als „Verlierer“ der Pandemie, erläutert Kleine-Benne. Zur Erklärung: Die weiblichen Beschäftigten haben die Corona-Auswirkungen eindeutig stärker zu spüren bekommen, weil der Frauen-Anteil in den von der Pandemie mit Lockdowns etc. betroffenen Branchen höher war.

Teilhabechancengesetz zeitigt Erfolge

Schilderten die Entwicklung und Lage und berichteten über Taten für die Integration in den Arbeitsmarkt (v. li.): Eva Walgenbach, Nathalie Schöndorf, Karl Tymister und Caroline Kleine-Benne.
Schilderten die Entwicklung und Lage und berichteten über Taten für die Integration in den Arbeitsmarkt (v. li.): Eva Walgenbach, Nathalie Schöndorf, Karl Tymister und Caroline Kleine-Benne. © Carina Leven | Jobcenter „ME-aktiv“

Nathalie Schöndorf verweist überdies auf den erfolgversprechenden Weg, „über Teilhabe Fuß zu fassen und in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu kommen“. Das Teilhabechancengesetz sei ein wirklich erfolgreiches Projekt, bekräftigt die Jobcenter-Geschäftsführerin. Die bisherige Bilanz: Mit Hilfe dieses Gesetzes und der damit verbundenen Möglichkeiten werden seit 2019 vom „ME-aktiv“-Team insgesamt rund 400 Menschen auf ihrem Weg ins Erwerbsleben begleitet.

Ausreichendes Budget für Maßnahmen vorhanden

„Es sind ganz viele individuelle Geschichten, und es gibt ganz viel individuelle Unterstützung“, fasst Karl Tymister zusammen, und die habe fast immer mit beruflicher Qualifizierung zu tun. „Es wird nicht mehr oder weniger Arbeitsplätze geben, aber andere.“ Die Menschen würden gebraucht. „Wir brauchen wirklich jeden.“ Für berufliche Qualifizierung hätten beide – Jobcenter und Agentur – das erforderliche Budget.