Langenberg. Normalerweise ist an der Grundschule Kuhstraße in Velbert-Langenberg alle zwei Wochen Vorlesetag. Im Lockdown ist Kreativität gefragt.

„Herr Köhler, bitte...“, Jochen Kraus sitzt hinter seinen Kameras, das Mikrofon ist ausgerichtet. Ungefähr zwei Meter vor ihm sitzt Wolfgang Köhler entspannt in einem roten Sessel, ein Buch in der Hand, einen kleinen Stehtisch mit Kuhfelldecke neben sich.

„Normalerweise“, erläutert der Schulleiter der Grundschule Kuhstraße, „haben wir alle 14 Tage eine Lesestunde im ganzen Gebäude.“ Die Langenberger Kitas sind dann eingeladen, die Schülerinnen und Schüler lesen selbst, es gibt Vorlese-Angebote. Nicht umsonst nennt sich die Einrichtung auch „Lesende Grundschule“.

Projekt schon im ersten Lockdown gestartet

Jochen Kraus ist Profi. Normalerweise dreht er Werbefilme für die Industrie. Aber er engagiert sich auch für die Langenberger Schulen: Neben der Vorlesestunde der Grundschule Kuhstraße hat er auch die Aufnahmen für den Imagefilm des Gymnasiums übernommen.
Jochen Kraus ist Profi. Normalerweise dreht er Werbefilme für die Industrie. Aber er engagiert sich auch für die Langenberger Schulen: Neben der Vorlesestunde der Grundschule Kuhstraße hat er auch die Aufnahmen für den Imagefilm des Gymnasiums übernommen. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Doch dann kam im Frühjahr 2020 der erste Lockdown, „wir mussten uns etwas überlegen“, sagt Köhler. Glücklicherweise gebe es in der Elternschaft einen professionellen Kameramann – Jochen Kraus. „Und der hatte die Idee, die ganze Aktion einfach aufzunehmen und online zur Verfügung zu stellen.“

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Gesagt, getan: Und so sitzt Wolfgang Köhler jetzt regelmäßig in dem roten Sessel und liest. „19 oder 20 Mal haben wir das jetzt schon gemacht“, sagt „sein“ Kameramann Jochen Kraus dazu, „da sieht man erst einmal, wie lange die Kinder nicht in der Schule gewesen sind.“

Kinder vermissen die Grundschule

Und genau das sei ein Punkt, den viele unterschätzen würden, sagt Wolfgang Köhler mit ernster Miene. „Die Kinder vermissen die Grundschule unglaublich“, berichtet er. „Für viele ist das hier ihr zweites Zuhause, für manche sogar ihr erstes.“ Er höre das in den Videokonferenzen mit den Eltern immer wieder.

„Die Gemeinschaft fehlt, es fehlt, gemeinsam Dinge zu erleben“, fährt Köhler fort. „und je länger der Lockdown dauert, desto schlimmer wird das.“ Ganz besonders treffe die Situation Familien in prekären Verhältnissen. Immerhin zwei Mal die Woche haben die Lehrerinnen und Lehrer Kontakt zu den Familien, per Video oder per Telefon. Und: „Gott sei Dank erreichen wir fast alle auf diesem Weg“, sagt Köhler.

„I-Dötzchen kennen fast nur Corona“

Nachdem die Aufnahmen im Klassenraum der 1a erledigt sind, muss das Material bearbeitet werden. Je nachdem wie viele Bilder so ein Buch hat – die filmt Kraus auch ab – dauert es bis zu vier Stunden, bis das Video online gehen kann.
Nachdem die Aufnahmen im Klassenraum der 1a erledigt sind, muss das Material bearbeitet werden. Je nachdem wie viele Bilder so ein Buch hat – die filmt Kraus auch ab – dauert es bis zu vier Stunden, bis das Video online gehen kann. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Aber der Schulleiter gibt auch zu bedenken: „Unsere Erstklässler kennen ja nur Corona. Denen ist praktisch schon die Einschulung ,gestohlen’ worden.“ Im Grunde hätten die I-Dötzchen nur ein paar Wochen lang die Schule von innen gesehen.

„Bei den Zweit- und Drittklässlern können wir das aufholen, aber für die Erst- und Viertklässler ist das schon ganz bitter“, sagt Köhler. Denn Distanzunterricht sei schwierig: „Wir müssen ja abwägen zwischen der Menge, die wir vermitteln wollen und dem, was die Eltern leisten können.“ Er bespreche sich regelmäßig mit seinen Kolleginnen, die selbst Kinder zu Hause haben, um die Eltern nicht zu überfordern.

Eltern nicht überfordern

„Wir können schließlich nicht erwarten, dass die Eltern den Stoff so vermitteln, wie es die Lehrer im Studium gelernt haben.“ Zumal beispielsweise Schreib- und Leselernprozesse ähnlich kompliziert seien „wie Physik“, so Köhler.

Ein weiteres Problem sieht der Leiter der Grundschule Kuhstraße auf sich und sein Kollegium zukommen, wenn die Kinder wieder im Gebäude unterrichtet werden dürfen: „Es ist ja schon nach sechs Wochen Sommerferien viel Arbeit, bis alle wieder die Regeln verinnerlicht haben. Jetzt sind die Kinder ja noch länger von der Schule weg.“

Ronja Räubertochter – in Auszügen

Bis es soweit ist – und auch die Lesestunde wieder mit Publikum stattfinden kann – wird Wolfgang Köhler weiter regelmäßig vor den Kameras von Jochen Kraus sitzen. Diesmal hat er eines seiner Lieblingsbücher dabei, „Ronja Räubertochter“, von Astrid Lindgren.

Danach – das ist eine Premiere – liest er noch aus einem weiteren Buch vor. Das richtet sich dann erstmals an die Eltern: „Die sind schließlich auch gebeutelt durch Corona“, sagt Köhler, „und haben sich auch mal eine Auszeit verdient.“

Alle bisherigen Folgen der Vorlesestunde finden sich auf der Homepage der Schule unter der Rubrik „Alltag“ und der Unterrubrik „Unsere Aktivitäten“.

Weitere Nachrichten aus Langenberg, Neviges und Velbert gibt es auf www.waz.de/velbert.

Der Kameramann

Jochen Kraus kennt sich aus im Geschäft, kommt er doch aus dem Fernsehbereich. Dort hat er für diverse Sender unter anderem Nachrichtenbeiträge gefilmt.

Inzwischen fokussiert er sich mit seiner Arbeit auf die Industrie, macht fast ausschließlich Werbefilme – oder eben die Lesestunde der Grundschule Kuhstraße.

Auch für das Gymnasium Langenberg war Jochen Kraus schon aktiv: Er hat die Aufnahmen für den neuen Imagefilm der Schule gedreht.