Neviges. Kassandra ist auch einen Monat nach dem Verbrechen noch Thema Nummer Eins in Velbert und Neviges. Erzieherinnen und Eltern der AWo-Kindertagesstätte sammeln Geld für Kassandra und ihre Familie. Trotz der Festnahme des 14-jährigen mutmaßlichen Täters ist die Unsicherheit noch immer groß.

Am Tatort hinter der Sporthalle an der Tönisheider Straße ist es still geworden. Die Spurensicherung ist abgezogen. Auch die Kameraleute und Fotografen haben das Feld geräumt. Wo noch vor wenigen Tagen die Auslöser klickten, zwitschern jetzt wieder ganz ungestört die Vögel.

Hinterhof-Idylle wäre wohl das richtige Wort für diesen Ort, wäre da nicht die Erinnerung. Die Ermittler haben auf der Suche nach Beweismitteln selbst Spuren hinterlassen. Im Gras liegen Einweghandschuhe. Der schmale Pfad hinter der Turnhalle ist matschig und ausgetreten. Und schon sind die Bilder vom September wieder da.

Nevigeser haben Kassandra nicht vergessen

Genau einen Monat ist es her, da fand Spürhund Christo Kassandra in einem der vielen Gullys hinter der Sporthalle. Bewusstlos war sie. Und schwer verletzt. Die Neunjährige rang mit dem Tod. Heute, das sagt die Polizei, sei sie auf dem Weg der Besserung.

Die Nevigeser haben Kassandra nicht vergessen. Erzieherinnen und Eltern der AWo-Kindertagesstätte Morgenland stehen frierend auf dem Wochenmarkt. Sie haben ein großes rotes Herz mit Kassandras Namen aufgehängt. Auf dem Tisch steht ein Sparschwein. Die Aufschrift soll Mut machen. „Hier kommt ganz viel Sonnenschein für dich.”

Die Kindergärtnerinnen schänken Kaffee aus und sammeln Geld. „Aus Mitgefühl”, sagt die Leiterin Eleonore Brengelmann (53). Es sei ja die einzige Möglichkeit, Kassandras Familie überhaupt Unterstützung zukommen zu lassen.

Tat ist längst nocht nicht ausdiskutiert

Die Frauen stehen nicht ganz uneigennützig auf der Straße. „Es nimmt die Lähmung”, sagt Logopädin Stephanie Busse (37). Die Aktion zeigt erste Erfolge. Die Kindergärtnerinnen können wieder lachen, natürlich nicht über den Fall, aber immerhin.

Sina Silva (25) spricht einen Passanten an. „Wollen Sie auch spenden?” Der Mann weicht zurück. Sina Silva erklärt: „Es geht um Kassandra.” Der Mann zückt die Geldbörse. Die Szene wiederholt sich. Am Mittag ist das Sparschwein voll. Kassandras Familie soll das Geld übernächste Woche bekommen. Im kleinen Rahmen, nicht öffentlich.

Die Tat ist noch längst nicht ausdiskutiert. Jemand spricht vom „perfekten Verbrechen”. „Wie so etwas nur in Neviges passieren konnte”, stellt eine junge Mutter in den Raum. Sie könne das immer noch nicht begreifen. Es halten sich Spekulationen über die Tatwaffe. Steine sollen es gewesen sein. Oder der Gullydeckel.

Die Angst ist mit der Festnahme des 14-jährigen vermeintlichen Täters nicht gewichen. „Wenn er's denn ist”, sagt Annegret Lange (46). „Wir halten die Tür im Kindergarten immer fest verschlossen”, sagt Brengelmann. Die Einrichtung liegt nicht weit vom Tatort entfernt.

Wolfgang Kluge (57) ist froh, dass jetzt endlich wieder Ruhe einkehrt. Die Festnahme des 14-Jährigen schrecke Verbrecher ab. „Die Gefahr, gefasst zu werden, ist groß.”

Auf Fremde ist Neviges nicht gut zu sprechen

Ganz so ruhig ist es dann doch nicht. Weiter unten haben sie am Vormittag Fremde gesehen. „Boulevard-Presse”, sagt jemand. „Die erkennt man sofort.” Auf Fremde sind sie hier nicht gut zu sprechen.

Wie sie denn hier über den Kinderporno-Verdacht gegen einen Nevigeser denken? Den Frauen am AWo-Stand stockt der Atem. Es ist plötzlich ganz still. Niemand will etwas dazu sagen. Stephanie Busse sagt dann doch etwas, umso deutlicher: „Das ist der Bodensatz der Gesellschaft.”

Das größte Anliegen der Nevigeser fasst ein Blick ins Fürbitten-Buch des Mariendoms wohl am besten zusammen. Eintrag vom 10. Oktober: „Lieber Gott, beschütze unsere Kinder.”