Oberhausen. . Historiker beraten Stadtverwaltung. Personen, geschichtliche Ereignisse oder Landschaften stehen Pate.
Jedes Kind bekommt einen Namen, Hunde und Katzen ebenfalls, sogar Kanarienvögel heißen Hansi oder Peter. Was Mensch und Tier recht ist, ist Straßen billig – ein eigener Name. Manchmal werden sie auch umbenannt – wie unlängst die Pacellistraße in Alt-Oberhausen, die jetzt Christoph Schlingensief-Straße heißt. Doch wie kommt ein Straßenname zustande?
Rätselraten gab es bei vielen Bürgern, als 2011 der neue Platz vor dem Technischen Rathaus in Sterkrade Martha-Schneider-Bürger-Platz genannt wurde. „Das war ein Vorschlag aus der Politik,“ erinnert sich Petra Oehlandt, Leiterin des Fachbereichs „Erschließung und Beiträge“, die nebenamtlich die Straßen-Namensgebung bei der Stadt betreut.
Rat von Historikern wird eingeholt
Mit diesem Namen wollten Politiker die gebürtige Sterkraderin Martha Schneider-Bürger ehren (1903-2001). Sie hatte 1927 als erste deutsche Bauingenieurin ihr Studium an der Technischen Hochschule München abgeschlossen und Tabellen für Stahlprofile entwickelt.
Nun sei es mit Personennamen für Straßen aber so eine Sache, sagt Oehlandt: „Wir sind da vorsichtig. Man muss sicher sein, dass neben der Leistung desjenigen auch ein tadelloser Lebenswandel vorhanden ist.“ Im Zweifel befrage sie die Entnazifizierungsstelle, „um keine bösen Überraschungen zu erleben“.
Christoph Schlingensief
Straßennamen von der Ortsgeschichte bis zur Familientradition
Üblicherweise holt die Stadtmitarbeiterin den Rat von Historikern ein, wenn es darum geht, neuen Straßen Namen zu verpassen: „Am liebsten sind mir Namen, die die Ortsgeschichte widerspiegeln.“
Zu diesen Beispielen zählt der Nachtwächterweg in Holten. Seit dem Jahr 1997 erinnert er an die Geschichte der schwarz gewandten Gesellen, die im Mittelalter durchs nächtliche Holten zogen, um Straßenlaternen anzuzünden und die Stunde anzusagen.
Die Straße An der Tongrube in der Walsumermark erinnert wiederum daran, dass dort einst Ton gefördert und zu Ziegeln verarbeitet wurde.
Familientradition
Auch Familien, die seit Jahrhunderten am Ort ansässig sind, standen bei der Straßen-Namensgebung Pate. So gibt es auf dem Tackenberg die Straße Timmerhausacker, die ihren Namen dem Timmerhaus-Hof zu verdanken hat. Dieser gilt als einer der ältesten Höfe Sterkrades. Die Chronik besagt, dass die Kate bereits 1456 im Besitz des Sterkrader Zisterzienserinnen-Klosters war.
Auch eine der ältesten Sterkrader Straßen geht auf eine solche Familientradition: An der Hagedornstraße liegt der noch heute von der Familie Hagedorn bewirtschaftete Hof. Diese kleine Straße wird bereits auf einer Karte des Kirchspiels Sterkrade aus dem Jahr 1727 erwähnt.
Landschaft
Besonderheiten der Natur und der Landschaft können ebenfalls für Straßennamen Pate stehen. Ein Beispiel ist die Vennstraße in Holten. Venn ist der alte Name für Moor. Und so führt auch die Vennstraße durch ein feuchtes Sumpfgebiet.
Die Straße Dellerheide verdankt ihren Namen einer geografischen Besonderheit. Der bedeutet „Heide, die in einer Geländesenke liegt“.
Personen
Nicht immer waren die Namensgeber von Straßen mit der Nutzung von Personennamen so zurückhaltend wie heute. Zahlreiche Namen im Stadtgebiet gehen auf historische Persönlichkeiten zurück. Manche sind heute (fast) in Vergessenheit geraten.
Wer weiß zum Beispiel aus dem Stegreif, warum der Sterkrader Zilianplatz so heißt wie er heißt? August Zilian (geb. 1895) war Schlosser. Er engagierte sich in der Arbeiterbewegung und versuchte mit anderen, den Widerstand gegen Adolf Hitler aufzubauen.
An Anton Witte (1809-1892), Dechant von Sterkrade, erinnert die Wittestraße. Witte war von 1837 bis 1892 Pfarrer an St. Clemens und richtete 1866 ein Krankenhaus ein.
Und wer kennt Eduard Pfandhöfer, der der Pfandhöferstraße ihren Namen gab? Er war Hüttenmeister, pachtete 1779 die herunter gewirtschaftete St.-Antony-Hütte und übernahm 1783 die Leitung der Gutehoffnungshütte.
Namensvorschläge werden im kleinen Kreis diskutiert
All diese Beispiele gehen auf Vorschläge von Historikern oder Politikern zurück. Sie werden zunächst im kleinen Kreis diskutiert, um ein erstes Meinungsbild einzuholen. „Danach schreibe ich eine Beratungsvorlage für die jeweilige Bezirksvertretung, deren Mitglieder dann wiederum über die endgültige Namensgebung entscheiden“, beschreibt Oehlandt das Vorgehen.
Ist das geschafft, beginne ein Informationsmarathon: „Von der Telekom bis zur Post, von der Feuerwehr bis zum Meldeamt – die Liste derer, die ich darüber in Kenntnis setzen muss, ist schier endlos.“
Vom ersten Namensvorschlag bis zur endgültigen Umsetzung könne schon mal ein Jahr ins Land gehen, sagt Oehlandt. Spannend ist ein Streifzug durch die Straßennamen der Stadt allemal, sind sie doch auch ein Dokument der Zeitgeschichte.
Buch zur Oberhausener Straßengeschichte
Der Geschichte der Oberhausener Straßennamen spürten Alfred und sein Sohn Ulrich Lindemann schon 1997 nach. Endlose Stunden verbrachten sie dazu in Archiven, sichteten Quellen und trugen Erinnerungen zusammen.
Herausgekommen ist ein Stück ungewöhnlicher Stadtgeschichte, denn in ihrem Buch „500 Kilometer Oberhausener Straßengeschichte“ erinnern die Sterkrader auf knapp 200 Seiten an die Hintergründe der Namensgebung einzelner Straßen. Die Informationen dienten auch diesem Text in unserer Zeitung als Grundlage.
Das Buch ist noch im Buchhandel erhältlich oder beim Autoren Alfred Lindemann, 66 00 10.