Oberhausen. . Jochen Riemer hat eine geistige Behinderung. Er lebt trotzdem ein selbstbestimmtes Leben.
Nach der Arbeit ist Jochen Riemer froh, wenn er die Tür seiner Wohnung hinter sich zu ziehen kann. Einmal durchatmen, in Ruhe ein Butterbrot schmieren und noch etwas fernsehen. Da ist der Klosterhardter wie jeder andere. Und dann auch wieder nicht. Denn indem er das überhaupt kann, alleine lebt, für sich selbst sorgt, darin ist Jochen Riemer besonders.
Der 40-Jährige steht in der Tür seiner Wohnung, ruft so laut „Hallo“, dass es im Hausflur regelrecht hallt. Jochen Riemer grinst, ist gut gelaunt und dennoch etwas aufgeregt, weil er heute so viel Besuch bekommt.
Fünf Kaffeetassen stehen auf dem Tisch, in jeder schwimmt etwas Milch, auf die Jochen Riemer den Kaffee schüttet: Erst für die Journalisten, dann für sich und seine Betreuerin Daniela Kiepen und für Heiner Emschermann. Emschermann leitet im Caritasverband den Bereich des Ambulanten Betreuten Wohnens des Franziskus-Hauses. Mit diesem Angebot kümmert sich die Caritas seit elf Jahren als ein sozialer Träger in dieser Stadt um Menschen, die eine geistige Behinderung haben, aber selbstständig leben können und wollen. Jochen Riemer ist einer von 91 Klienten.
Hilfe, wo und wann er sie braucht
Was heißt das nun: Klient? Für Jochen Riemer heißt das vor allem, dass er seinen Alltag größtenteils selbstständig meistert. Morgens steht er um 6 Uhr auf, fährt zur Werkstatt der Lebenshilfe, in der er als Gärtner arbeitet, und kommt nachmittags nach Hause. „Ich bin da mein eigener Herr“, sagt Jochen Riemers. Es heißt aber auch, dass er überall dort, wo er Hilfe braucht, diese bekommt.
Beim Einkaufen etwa. „Ich habe früher für einen Monat Fleisch eingekauft, wenn das im Angebot war“, erzählt Jochen Riemer. Einen großen Gefrierschrank hatte er in der Küche stehen, randvoll. Einmal in der Woche frisch einzukaufen, das wurde ihm irgendwann zu viel. Genauso, seine Wohnung sauber zu halten und auf die eigene Gesundheit zu achten, nachdem er bei seinen Eltern ausgezogen war.
Für diese Dinge hat Jochen Riemer seit 2008 jemanden, den er fragen kann. Jemand, der zeigt, wie man eine Toilette schrubbt oder wie groß der Lebensmitteleinkauf sein muss, damit man eine Woche davon essen kann. Zweimal in der Woche, das gibt der Plan in der Küche an, kommt je ein Mitarbeiter der Caritas vorbei, bespricht mit ihm die Woche, schaut, wo er Unterstützung braucht. Eine gesetzliche Betreuerin hilft mit der Haushaltskasse, eine Pflegekraft beim Saubermachen der Wohnung.
Unterstützung ohne Überforderung
„Anfangs geht es meist um grundlegende Hilfe, die wir gemeinsam mit unseren Klienten erarbeiten“, sagt Heiner Emschermann. „Sie bestimmen dabei, wo und wann sie Unterstützung brauchen.“ Das sei ein Prozess, die Hilfe wandle sich. „Sie muss immer im Rahmen der Fähigkeiten und Möglichkeiten geschehen, die jemand mitbringt. Sonst fühlt er sich schnell überfordert.“
Freizeit sei heute ein zunehmend wichtiger Aspekt, ergänzt Daniela Kiepen: „Mit Jochen etwa habe ich früher die Zeitung nach Veranstaltungen durchstöbert. Heute weiß er viel besser Bescheid als ich.“
Jochen Riemer nickt. Überall ist er dabei, bei Stadtfesten und Konzerten, geht ins Kino, besucht das Theater, engagiert sich in einer integrativen Tanzgruppe und beim Karaoke-Singen. „Meine Kumpels sagen immer: Der Jochen bringt Stimmung in die Bude.“
Und sonst? Sammelt er Figuren der Action-Serie „The Transformers“ und spielt gerne Computer. Manchmal zu gerne, gibt er zu. Da fehlt dann schon mal die Motivation zum Putzen und Abwaschen. Wie wohl bei vielen anderen auch.
Elf Jahre BeWo: Integrative Diskothek
Die Caritas bietet seit elf Jahren eine ambulante Wohnbetreuung für Menschen mit einer geistigen Behinderung an.
Seinen Geburtstag feiert „BeWo“ am Sonntag, 10. Juni, ab 17 Uhr mit der integrativen Disco „Nobody is perfect“ für Menschen mit und ohne Behinderung im Zentrum Altenberg. Der Eintritt ist frei, Musik, Tanz und Zauberei wird geboten.